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Büchernachlese-Extra: Günter Grass

Günter Grass

Ein weites Feld

Roman. Steidl Verlag, Göttingen 1995, 784 S., ISBN: 3-88243-366-3, >>> Amazon
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Am 30.12.89 feiert die Reinkarnation Theodor Fontanes alias Theo 'Fonty' Wuttke bei McDonald's seinen 70. Geburtstag. Entgegen seinem Willen nicht allein, sondern mit der Fiktion einer Fiktion des "ewigen" Spitzels und Nachrichtenzuträgers namens Tallhover alias Hoftaller. Beider Geschichten sind eng verwoben, so wie sich die Geschichten ihrer biographischen Vorgänger unvermutet ergänzen, denn im Gegensatz zueinander stehen. Eine solcherart verschachtelte Sicht z.B. auf die landeshistorischen Geschehnisse zeitigt denn auch erstaunliche Parallelen zwischen damaligen und heutigen Gegebenheiten, obwohl doch für unsereinen der Mauerfall nachgerade wie zum Trost stets als "einmalig" und "wahnsinnig" aufgeköchelt wird. Aber was die Folgen "historischer" Ereignisse betrifft, war Fontane seinerzeit eben kein Zola, und bei dem Anblick auf Abbruch wartender, "leergeweiderter" Häuser in der Nähe einer riesigen Braunkohle-Abraumhalde schreibt Fonty an seine Tochter Martha bzw. "seine Mete": "War nie auf Misere abonniert. Konnte soviel Häßlichkeit keine Minute länger ansehen. Nicht nur von Gott - das ginge ja noch -, von aller Schönheit verlassen, atmete mich die Leere an..." Und es ist der penetrante, erpresserische mithin "böse" Nach-wie-vor-Mitarbeiter des MfS Hoftaller, der Fonty zwingt, sich der gnadenlos ungeschönten Faktenlage zu stellen, denn "Wir können auch anders ...".
"EIN WEITES FELD" von Günter Grass steckt in fünf Kapiteln ein weit mehr als Berlin-Mark-Brandenburg großes Areal ab, dessen Geschichts- und Geschichtenablagerungen er bis auf knapp 200 Jahre Tiefe freilegt. Das fördert eine Vielzahl überraschender Querverweise zutage, aber gerade auch Details wie "Mietshäuser, denen der Putz wie eine gelbgraue Uniform angepaßt war" oder "Gluckte auf ihren Knien, die schwarzgeschuppte Tasche, deren Rundbügel flach anlagen" haken sich fest und drosseln das Lesetempo auf ein gemächlich schlenderndes, "fontanesches" Maß. Neben den sich selbst und ihre Vorgänger zitierenden Schlüsselfiguren belegt ein namenlos bleibender Potsdamer Archivarius aber auch die erfrischend nüchterne Sicht der Angehörigen Theo Wuttkes. Zwischen Schöngeisterei, politischen Sachzwängen und prosaischer Alltagswirklichkeit hin und hergerissen, verwischen die Rollen von Autoren, Archivaren, Spitzeln und Lesern, die somit jeder für sich ihren "Status" als Opfer oder Täter zu finden haben. Grass fordert nichts mehr ein (auch keinen "dritten Weg"), er legt nur noch bloß und findet damit zur altersweisen Tugend des reinen, tiefschürfenden Erzählens. Dennoch werden viele "übelnehmen" und vielleicht sogar ein Wort wie "Verunglimpfung" bemühen. Schon jetzt ein gesamtdeutscher Klassiker also, der vom Leser gewiß einiges abverlangt, nur keine Langweile. Metaphernreich und stets den Kern treffend dürfte EIN WEITES FELD noch am Ende des nächsten Jahrhunderts die Gemüter bewegen.

Weitere Besprechungen zu Werken von Günter Grass und Sekundärliteratur dazu siehe:
Büchernachlese-Extra: Günter Grass

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