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Unter den "Was wäre wenn..."- Fragen ist die nach einem
authentischen schriftlichen Zeugnis über das Leben Jesu und seiner
Jünger wohl eine der spannendsten, d.h. die mit den größten
Widersprüchen aufgeladene. So ein Evangelium aus dem 1.Jahrhundert
unserer Zeitrechnung würde die unterschiedlichsten Interessen berühren.
Das derzeit gelungenste Werk zu dieser Frage dürfte "DER DREIZEHNTE
APOSTEL" von Wilton Barnhardt sein. Seine Protagonisten: Patrick O'Hanrahan,
ein irischer Gelehrter der Theologie, früher Jesuit, dann erfolgloser
Ehemann und Vater, zuletzt ein zynischer Quartalssäufer; Lucy Dantan,
die sich von der provinziellen Doktorandin zur reaktionsschnellen Assistentin
O'Hanrahans mausert; Rabbi Mordechai Hersch, der seinen Freund Patrick
auf die Spur dieses Evangeliums setzt, aber dennoch den Christen gegenüber
nicht vorurteilsfrei sein kann. Aber nicht nur sie, scheinbar alle sind
sie plötzlich hinter diesem Stück Papyrus her, die wenigsten
jedoch, um die Forderung nach der Liebe des Nächsten zu untermauern.
Die tour de force hetzt u.a. die bis dahin kaum gereiste Lucy in 7 Kapiteln
durch Großbritannien, Irland, Italien, Griechenland, Israel, Afrika
und zuletzt das "Gelobte Land" Philadelphia in den USA. Der erst 33-jährige
Autor beweist hierbei ein Detailkenntnis örtlicher Gegebenheiten die
fast genauso verblüfft, wie seine Ausgrabungen in der Kirchengeschichte
und den Religionswissenschaften. O'Hanrahan findet weiß Gott genügend
Gelegenheiten auf absurde Rituale und widersprüchliches Gebahren seitens
der sich im rechten Glauben wähnenden hinzuweisen. Jedes Kapitel schließt
mit einem Abschnitt des eigentlich erst am Ende übersetzten Evangeliums
und selbst Gott (oder ist es die heilige Geist Sophia?) kommt in Klammern
zu Wort.
"Die alten Frauen in Schwarz, die unter Tränen auf den Stufen
knieten und inständig beteten - vielleicht das einzig Ewige an der
Religion, die alten Frauen in Schwarz. Rechts neben der Tür entdeckte
sie einen Kiosk mit Andenken.
(Das zweite Ewige der Religion, Lucy.)"
Barnhardts Pointenköcher enthält reichlich Nadelstiche bishin
zum derb heftigen Slapstick. Selbst die Fußnoten zum "Evangelium"
sind davon nicht ausgenommen. Aber bei all seiner Raffinesse im Aufbau
dieses Romanes und den überzeugenden Indizien dafür, daß
der Mensch zu einem die Menschen und Gott einschließenden gelebten
Glauben offenbar gar nicht fähig sein kann, bleibt der Autor nicht
in der wohlfeilen Kirchenkritik stecken, sondern läßt Patrick
zum Ende hin auch Worte wie diese finden: "Vielleicht heißt es
das, zu den Auserwählten Gottes zu gehören: daß man im
Chaos der Welt einen moralischen Kern erkennen kann; daß einem solche
Dinge nicht egal sind; daß man trotz aller Weiterentwicklung immer
noch Gut und Böse unterscheiden kann und weiß, daß es
eine Wahl gibt..."
1024 Seiten ohne eine einzige Länge fesselt dieser Roman bis zum
Schluß, wenn man ihn bedauernd zuklappt. Ein Roman, der, wie seinerzeit
Umberto Ecos IM NAMEN DER ROSE, das Zeug zum "Kultbuch" hat.