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Wenn wir alles soviel hätten, wie Bücher über Berlin... Eines, das sogar von den Berlinern selbst immer wieder gern aus dem Regal hervorgezogen werden dürfte, ist eine Nachlese von Feuilletons aus den 20er-Jahren. JOSEPH ROTH IN BERLIN war alles andere, als begeistert von dieser Stadt. Ab dem Sommer 1920 schrieb er bis 1932 für verschiedene Zeitungen aus und über Berlin - um als Journalist Geld zu verdienen. Städte wie Wien und Paris liebte er, aber über keine Stadt hatte er dann vergleichbar viel geschrieben wie über Berlin. Hier entwickelte er aus der inneren Distanz heraus seinen spezifisch zeitkritischen Stil, der sich auch in seinen Romane widerspiegelt. Aus dem umfangreichen Oeuvre hat Michael Bienert nun eine Auswahl von Roths Texten in neun Themenschwerpunkte gegliedert. So beschrieb Roth den "Orient" im Scheunenviertel, die offiziellen und inoffiziellen Nachtasyle für Flüchtlinge und Obdachlose, die Technikgläubigkeit mit ihren ausufernden Verkehrsproblemen, den "Bauplatz Berlin", die Bürger und die Bohemiens, die Vergnügungsindustrie, die politischen (Vor-)Zeichen bishin zum "Autodafé des Geistes" bei der Bücherverbrennung - letzteres dann schon aus dem Pariser Exil. Jeder Text von bissig poetischer Treffsicherheit und bemerkenswert hoher Aktualität. Umrahmt wird das Ganze von zahlreichen S/W-Fotos aus jener Zeit, einem ausführlichen, fundierten und höchst anregenden Vorwort, einem Adreßbuch für eigene Erkundungen sowie verständnisfördernden Anmerkungen am Schluß des Buches. Ein Lesebuch für Spaziergänger - ob nun auch zu Fuß oder "nur" im Geiste.