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Etwas zuvor völlig Undenkbares ist im kleinen Reich der Medlevinger geschehen. Zuerst verschwindet Antak, der Geschichtenerzähler, und schon kurz darauf Vedur, der Erfinder. Und Vedur bleibt sogar am "Großen Tag" seines Sohnes Nis verschwunden, jenem Tag, an dem ein Medlevinger 13 Jahre alt wird und neben einer magischen Fibel auch "sein" Wort erhält. Nis und dessen Freundin Moa, der es bestimmt war, L-Fee zu werden, machen sich auf die Suche und entdecken dabei einen geheimen Gang nach "oben". In der Menschenwelt rund um den Hamburger Hafen lernen sie Johannes kennen, der gerade heftige Probleme mit seinem Englischlehrer und einer Bande erpresserischer Schüler hat. Trotz einiger Missverständnisse kommen die drei den verschwundenen Medlevingern nach und nach auf die Spur - und auch einem fürchterlichen Verbrechen, das seinen Anfang bereits vor 500 Jahren genommen hat.
"Die Medlevinger" von Kirsten Boie ist ein unterhaltsamer Schmöker, der 10 bis 12 jährige Kindern zu einem spannenden Krimi- und Fantasyabenteuer einlädt. Mit seinen 432 Seiten "nur" halb so dick wie ein Harry Potter Roman, vermag die preisgekrönte Kinderbuchautorin ihren Protagonisten einmal mehr sehr viel Sprachwitz in den Mund zu legen und sie der Situationskomik von Alltagstücken auszusetzen - hier zudem gesteigert um die für Menschen unglaublichen magischen Möglichkeiten der nicht mal halb so großen Medlevinger. Denn was "unten" an Magie nur den L-Feen gegeben ist, zu schweben und Pflanzen wachsen zu lassen, können "oben" auch die anderen Medlevinger. Nis z.B. kann sich unsichtbar machen, Antak es auf Wunsch regnen lassen und Vedur Dinge verkleinern.
Trotzdem bleibt ein Aber, dass diesen Roman auf eine schmale Alterszielgruppe festlegt und ihn nicht u.a. in Konkurrenz zu Cornelia Funkes "Tintenherz" treten lässt.
So reizend gegen den Strich auch die Figuren gezeichnet sind, sehr schön z.B. der liebenswert unkönigliche König der Medlevinger, wirkt Johannes in seiner Unbeholfenheit für reale Alltagsprobleme dramaturgisch nicht immer ganz schlüssig. Das wäre jedoch zu vernachlässigen, stünde nicht die gesamte Konstruktion auf etwas dünnem Eis. Dass sich beide Völker trotz 500-jähriger Trennung noch in einer gemeinsamen Sprache verständigen können, legt die Autorin auf der letzten Seite selber als unerklärliches Phänomen bloß. Hier erläutert sie auch den Fund 2000 Jahre alter Fibeln bzw. Spangen in Hamburg als inspirierende Grundlage für diesen Roman. Aber darüber hinaus schafft der im Motto zitierte, im Buch leider nur sehr oberflächlich durchdrungene, alttestamentliche Konflikt von Kain und Abel aus dieser Geschichte keine in sich plausible Welt, die das Lesen der letzten Seite überleben wird.
Das ist schade, die Medlevinger hätten sonst den Klabautermännern vielleicht noch den Rang streitig machen können …
Weitere Besprechungen zu Werken von Kirsten Boie siehe:
Büchernachlese-Extra: Kirsten Boie