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PIRATEN, SWINGS UND JUNGE GARDE untersucht oppositionelle Jugendliche
des III. Reiches - eine Minderheit also, zu der jener allerdings nicht
zählt, der u.a. auch das Zitat von der Gnade der späten Geburt
in den Unsinn gewendet hat.
In seiner Einleitung zu dieser Textsammlung stellt der Herausgeber
Wilfried Breyvogel dar, wie wenig systematisch sich die Widerstandshaltung
damaliger Jugendlicher entwickeln konnte. "...ein heimlicher Eindruck,
eine Szene vor dem Fenster, eine Wahrnehmung im Ghetto, dieses kann von
einer Sekunde zur anderen bei einem alles, bei anderen gar nichts auslösen."
(S.11)
Die nachfolgenden Texte wurden dann nach der Chronologie unterschiedlicher
Formen des Jugendwiderstandes zwischen 1933 und 1945 in Beziehung gesetzt.
Zuerst die in den Jugendorganisationen der Arbeiterparteien und der Naturfreundejugend,
dann ein Höhepunkt mit dem Beitrag von Christel Beilmann. Alle Texte
bestechen durch präzise Sprachführung und saubere Quellenscheidung,
aber wie diese Frau ihre JUGEND IM KATHOLISCHEN MILIEU der NS-Zeit unsentimental
und ungetrübt jedweder Verbrämung beschreibt, ist einfach einzigartig.
Solche Frauen inmitten der Kirche und nicht an ihrem Rande, und es sähe
heute für die Kirchen besser aus! Sie hat sehr klar erkannt und verurteilt,
was sie als junges Mädchen in diesem Milieu daran hinderte, überhaupt
auf die Idee zu kommen, politischen Widerstand zu leisten. "Ich habe
im Nachhinein eher den Eindruck, daß die Kirche von diesem politischen
Widerstand offiziell zumindest lieber keine Kenntnis nahm, er geschah gegen
ihr Konzept; es entsprach nicht dem Kodex der Kirche, daß jemand
sich gegen die Obrigkeit stellt, ihr gar Widerstand leistete." (S.63)
Es folgen konstruktiv diffenzierende Beiträge über die "bündische
Jugend" sowie über die "Edelweißpiraten". Sie setzen
der Schwarz-Weiß-malerei der einen wie der anderen Seite wirksame
Argumente entgegen.
Ein Schwerpunkt mußte natürlich die Auseinandersetzung mit
der "Weißen Rose" sein. Breyvogel erläutert in seinem
Artikel, warum: "... die 'Weiße Rose' gehörte - wie Detlev
Peukert einmal anmerkte - mit der militärischen Opposition des 20.
Juni 1944 und dem katholischen Bischof von Galen zum Dreigestirn der positiven
Widerstandstradition." (S.159) Ohne den Mut und die Entschlossenheit
der "Weißen Rose" anzutasten, ergeben sich aus seinem Beitrag
und den Texten von Inge Jens und A. Knoop-Graf z.T. völlig neue Einschätzungen
der einzelnen in der Gruppe sowie der Gruppe als ganzes.
Den meisten unbekannt dürften auch die Hamburger Swings und die
Pariser Zazous sein. In Kleidung und Musikgeschmack völlig aufs Angloamerikanische
"abgefahren", war deren "Renitenz und leichtsinniger Übermut"
schon bemerkenswert auf der Skala großdeutschen Widerstandes. Sehr
weiterführend zum Verständnis für alle Jugendlichen dieser
Zeit sind die psychologischen Einlassungen von B.A.Rusinek über die
Zwänge dieser Jugendlichen, vor allem auch gegen Kriegsende, welche
die genauen Zuordnungen zwischen Widerstand und Kriminalität ad absurdum
führen. Vor der persönlichen Nachbemerkung von Carola Stern hat
der Herausgeber einen weiteren Höhepunkt gesetzt. Arno Klönnes
Ausführungen über den Umgang mit der Geschichte jugendlicher
Opposition im III. Reich nach 1945 sind derart fulminant, daß man
sie am liebsten gleich vollständig widergeben möchte. Einfach
jeder Absatz ist zitierfähig und zu unterstreichen. Z.B. daß
für eine Politik, die nach alledem dennoch auf Kontinuität deutscher
Gesellschaftsgeschichte alter Provinienz Wert gelegt hat, "war es schlüssig
gedacht, Verweigerung und Widerstand 'von unten', so eben auch die Jugendopposi-tion
im 'Dritten Reich', aus der Geschichtsschreibung auszugrenzen."(S.302)
Siehe dazu auch der Um-gang mit Jugendlichen in den 60-igern und heute...
Keiner und keine in Deutschland, die von diesem Buch nicht gefesselt sein
könnten - den Jugendlichen, die nach dieser Lektüre "etwas
tun wollen", sollte die neueste Auflage des Ratgebers im Rowohlt Verlag
von Wolfgang Borchers mit dem Titel KRIEGSDIENSTVERWEIGERUNG - WEGE AUS
DER GEWISSENSNOT dazugegeben werden.