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Megan und Candice haben um sich eine Clique geschart, die sehr eindeutige Wertevorstellungen vertritt. Kann jemand beim "Netball" nicht mithalten oder hat sich eine "unmögliche" Frisur zugelegt, werden "Interventionssitzungen" abgehalten und Probezeiten zur Wiedereingliederung in die Gruppe vereinbart. Die meisten Regeln dazu hat sich Megan ausgedacht. Doch es gibt auch Einschätzungen, die bedürfen keiner weiteren Diskussion. So zum Beispiel, dass die Mitschülerin Perdita nach Aussehen und Verhalten ein "Freak" ist und Freaks zu meiden sind, wie zu anderen Zeiten Leprakranke ...
"Zeig dein Gesicht" von Alyssa Brugman ist wohl die beeindruckendste Jugendliteratur-Übersetzung dieses Bücherherbstes und beweist, dass in den Verlagskalkulationen die Realität als Erzählhintergrund niemals gegen die derzeit grassierenden Harry-Potter-Phantasien ausgespielt werden sollte.
In Gehalt und Thematik vergleichbar mit dem preisgekrönten "Der Tag, als ich lernte die Spinnen zu zähmen" von Jutta Richter, erörtert hier die weit jüngere Australierin Alyssa Brugman das Phänomen zwischen die Stühle zu geraten. Ähnlich auch ihre mit Megan gewählte Erzählperspektive, die jedoch eine ältere Zielgruppe anzusprechen und die Problematik über ein ungeschönt bitteres Ende hinaus durchzudeklinieren vermag. Einer Mittelschicht mit derzeit gültigen australischen Standards angehörend, dürfte Megans anfängliche Weltsicht auch von vielen Mädchen auf europäischen Schulhöfen geteilt werden. Und dann wird sie Perdita "ausgesetzt", einem scheinbar außerirdischen Mädchen, das Gedichte als ihre Gedanken bestätigende Freunde zu schätzen gelernt und mit ihren analytischen Fähigkeiten längst den oberflächlichen Zusammenhalt von Megans Clique durchschaut hat.
Anfangs ist es, als sprächen Megan und Perdita völlig verschiedene Sprachen, was durchaus eine Menge Situationskomik bietet. Doch als ein Keim zur Annäherung gelegt scheint, wird Perdita von Megan wieder verraten und sie trifft einen einsamen Entschluss. Die Einfühlsamkeit, mit der die Autorin Megan damit konfrontiert und sie dennoch nicht allein lässt, ist von brillant umgesetzter Konsequenz.
Je älter Kinder sind, umso weniger kann man ihnen das Machen eigener Erfahrungen ersparen - jene, die Bücher sowieso schon als Erfahrungsfeld entdeckt haben, muss man hierfür vermutlich nicht weiter begeistern wollen, für alle Megans und Candices jedoch sollte unbedingt der Zugang als Schullektüre oder ähnliches eröffnet werden.