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Die ÜBERBLENDUNG DES UNBESTECHLICHEN AUGES ist leider das Beispiel
für den Ausverkauf eines Autoren, der wie nur wenige in der Lage ist,
sinnlich-pralle und zugleich geistreich-witzige Geschichten zu erzählen.
Der Verleger, der ja ein Koordinator, ein Betreuer des gesammten Buches
sein sollte, hat nichts ausgelassen, um das Buch bald wieder Makulatur
werden zu lassen.
Der sperrige, eher auf ein Optiker-Handbuch verweisende Titel wird
erst mit ERZÄHLUNGEN unterschrieben, wenn es schon zu spät ist
- auf Seite drei.
Die erste Geschichte ist die Vita von Harald Budde, eine ganze Seite
lang und im selben Druck wie die anderen, schimmert schon dahinter die
erste Illustration Camattas durch. Der Verleger Weidler ist auch Galerist
und sollte eigentlich wissen, daß man zuweilen mit Leerräumen
bzw.-blättern gestalten muß. Gerade aber den expressiv schwarzflächigen
Tuschen von Leonhard Camatta wurde mit dem kleinhäuslerisch doppelseitigen
Bedrucken eines jeden Blattes Gewaltangetan.
2800 Satzzeichen pro Seite muß man mühsam entziffern (ab
S.52 wird's dafür wegen schlechter Druckqualität auch noch lichter),
um dann zu dem Schluß zu kommen, daß es sich für gut ein
Drittel der Texte nicht gelohnt hat. Stünde die Titelgeschichte wenigstens
am Anfang und wäre nicht willkürlich als Viertletzte gesetzt,
könnte man die (mindestens) 3 Stilrichtungen ja noch als sich überlappende
Wesenheiten des Harald Budde anerkennen. So aber ist nur ein unakzentuierter,
wild verteilter Mischmasch unter die Presse geraten. Bezeichnenderweise
sparte der Verlag auch an einem wegweisenden Index ...
Nach der Vita erschlägt CHILE in teutsch-poetischer Trampelei
gutgemeinte Solidarität, wie auch die fünf Rückblenden zu
den Kindheitserinnerungen der 40iger Jahre schwerfällig bemüht
oder einfach nicht überarbeitet und hingerotzt wirken. U.a. Titel
wie GEWISSENSFRAGEN und SELBSTBETRUG erreichen in diesem Zusammenhang mit
ihren 100-fach vorgestempelten Schlußfolgerungen bestenfalls noch
Schulaufsatzniveau.
Aber die restlichen zwei Drittel brauchen sich dafür vor ihren
vorzüglichen Illustrationen nicht zu verstecken, die könnten
den Grundstock für mindestens 2 eigenständige Bände bilden. Z.B. in DAS BILD DES PRÄSIDENTEN schaut H.B. mittenrein
und läßt die Dialoge zweier Lagerinsassen zu einer Gänsehautpointe
zuspitzen, in der sich alle Diktaturen dieser Welt wiederfinden können.
Ähnliches gelingt ihm zum Thema VERGEWALTIGUNG.
Bleiben 6 Erzählungen übrig, in denen H.B. in Höchstform
sein erstes (und bestes) Buch DER MODERNE TREND fortsetzt. Liebevoll hingefetzte
Karikaturen Kreuzberger Originale, die slapstickartig surrealistische Ebenen
erklimmen oder/und glasklare Zustandsbeschreibungen, in denen sich jeder
finden kann, der danach sucht.
Dennoch ist das Ganze für DM 19.80 leider nur bedingt empfehlenswert.
Weitere Besprechungen zu Werken von Harald Budde siehe:
Büchernachlese-Extra: Harald Budde