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Noël bittet um ein Gespräch. Ex-Kommissar Blaute, seit 23 Jahren außer Diensten, verweigert sich ihm nicht, will von ihm auch die kleinsten, nur scheinbar nebensächlichen Details erfahren. Und Noël erzählt von seinen Versuchen, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen, z.B. als er vermuten mußte, daß sein Chef kleine Mädchen mißbrauchte und wie er dann zum Serienmörder wurde.
Der neueste, nach 2 Jahren nun endlich auch in deutsch vorliegende Roman von Hugo Claus schließt direkt an 'Das Stillschweigen' an - allerdings mit einem radikalen Perspektivenwechsel. Löste dort die Wiederkehr des Söldners René geradezu eine kollektive Hysterie in seinem Heimatdorf aus, ist in 'Unvollendete Vergangenheit' nun sein kleiner, nie richtig ernstgenommener Bruder Noël die Hauptfigur.
Noël hatte sich als Kind eine schwerwiegende Kopfverletzung zugezogen. Größere Denkzusammenhänge, gleich welcher Natur, blieben ihm seither verschlossen. Seinen bereits vor dem Unfall angeeigneten überdurchschnittlichen Wortschatz bewahrte er sich jedoch und entwickelte zudem ein photographisches Gedächtnis für Details. Diese beiden Umstände erlauben ihm punktgenaue Schilderungen dessen, was sich zuweilen hinter biederen Kleinstadt-Fasaden abspielt und stellt so auf im Wortsinn entsetzlich komische Weise der wahnsinnigen 'Unschuld' des Mörders jene der 'normalen' Bürger gegenüber.
Wo andere 70-jährige altersweise zu schwafeln beginnen, legt der niederländische Autor auf hohem Niveau nochmal eins drauf und glänzt einmal mehr mit erfrischend moralinfreier und ausgefeilter Erzählkunst.
Weitere Besprechungen zu Werken von Hugo Claus siehe:
Büchernachlese-Extra: Hugo Claus (1929 - 2008)