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Charlie lebt im London einer womöglich gar nicht so weit entfernten Zukunft. Es gibt kaum noch Benzin, viele Kinder leiden wie Charlie an Asthma. Doch Charlies Eltern sind kluge Wissenschaftler, die ein Gegenmittel entdeckt haben. Weil das aber die Pharmahersteller um ihren sicheren Profit bringen würde, werden die Eltern entführt und sollen zur "Mitarbeit" gezwungen werden. Zum Glück verfügt Charlie über einen von seinen Eltern geschulten Verstand und weiß sofort, was zu tun ist. Zudem hat er unzählige Verbündete - denn alle Katzen verehren aus einem hier nicht zu verratenden Grund Charlies Eltern. Auch er selbst ist ihnen etwas Besonderes: Charlie spricht als einziger Mensch "Katz".
Es ist schon auffällig, dass sich nach "Harry Potter" die Kinderbuchverlage verstärkt um angelsächsische Bestseller bemühen, die sie wiederum mit immensem Werbeaufwand möglichst zum Megaseller befördern wollen. Dazu gehören dann auch entsprechend vorgeführte Entstehungsgeschichten wie in "Lionboy - Die Entführung" die Doppelautorenschaft aus Mutter und 10-jähriger Tochter, die nun gemeinsam unter dem Pseudonym "Zizou Corder" vermarktet werden, sowie das Nennen von Stephen Spielberg als in letzter Zeit offenbar sehr kauffreudigem Erwerber von Zweitrechten.
Zugegeben, das Cover mit seinen durch Folien äußerst lebendig scheinenden Löwenaugen, das Lesebändchen mit Löwenschwanzpuschel und auch die ausgefeilten Illustrationen Fred van Deelens sind von reizender Augenfälligkeit. Die Dramaturgie dieses ersten Trilogiebandes lebt von eigentlich ausweglosen Ausgangslagen, denen im letzten Moment immer wieder rettende Helfer entgegenstehen. Ganz abgesehen davon, dass Charlie ja von vorneherein als eine durch Herkunft, Gewitztheit und nicht zuletzt durch sein "Katz"-Talent privilegierte Person ausgezeichnet ist. Die Guten und die Bösen sind also schnell ausgemacht.
Doch "Zizou Corder" gibt dem Ganzen durch die Innenschau von Charlies kindgemäßer Ängstlichkeit und das Aufgreifen von Mechanismen realer Großkriminalität immerhin einige Bodenhaftung. Die Dialoge mit den Katzen und vor allem mit den am Ende von Charlie zu befreienden Zirkuslöwen spiegeln mit viel Witz und Einfühlungsvermögen zu beobachtende Eigenarten dieser Tiere. Die faszinierenden Möglichkeiten Charlies werden einigermaßen plausibel eingeführt, Umstände und Örtlichkeiten detailreich beschrieben, insbesondere eine Zirkusvorstellung mitreißend vor Augen gebracht - wäre die Übersetzung mit weniger Fremdwörtern ausgekommen, hätte das den positiven Eindruck verstärken können. Inwieweit Tochter Isabel Adomakoh hierbei eine gute Zuhörerin und Detailideengeberin war, ist nicht auszuloten - eine professionelle Mitautorinnenschaft jedoch kaum glaubhaft und deshalb auch nicht weiter relevant. Die entscheidenden Merkmale wie Aufbau und Sprachregelung entstammen wohl doch in erster Linie der Journalistin und allein erziehenden Mutter Louisa Young.
Für 10-jährige ist diese phantastische Abenteuergeschichte gewiss ein großer Lesespaß, älteren Harry-Potter-Fans dürfte sie jedoch trotz einiger Referenzen an historische Bezüge etwas zu eindimensional sein. Ob das zum Serien-Magaseller reicht? Womöglich hilft ja die anstehende Verfilmung. Den deutschsprachigen Kinderbuchautoren und -autorinnen wünschte man jedenfalls entgegen den Marketing-Trends wieder ein mehr auf Vielfalt bedachtes Lesepublikum und ein sie mehr forderndes wie besser förderndes Verlagsklima.