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Der Roman SCHATTEN LEBEN von Alfred Cordes erzählt von einem Menschen,
der vor keiner Verrückung scheut, der keinen anderen in seinem Anderssein
ablehnt, der feinste Nuancen als solche erkennt und trotzdem oder deswegen
eine eigenartige Distanz zu den Dingen, zum Leben entwikkelt hat.
Croll besucht Altenschwend, der in die psychiatrische Abteilung des
Landeskrankenhauses eingewiesen worden ist. Als er seinen engsten Freund
nicht mehr "berühren" kann, geht er seinen Weg. Der führt
ihn zuerst zu einem Einödbauernhof, wo er sich nur gegen Kost und
Logis als Knecht anstellen läßt. Hier wird die Kargheit des
Lebens von keiner Idylle verstellt, sondern es wächst beim Leser das
Grauen vor einer Sprachlosigkeit, die die Folge harter Schicksalschläge
auf engstem kommunikativen Raum ist. Was scheinbar in einer Elegie zu versteinern
droht, meint aber nur einen Ausgangspunkt, von dem aus Croll später
noch über die märchenhaften Bezüge zu einer verwöhnten
Bürgermeisterstochter, dem hautnahen Miterleben einer Lügengemeinschaft,
die Unbedarftere als Penner oder Clochards kennzeichnen würden, seinen
Höhepunkt bei der illustren Gesellschaft eines Professors der bildendenden
Künste findet. Der verkannte, schweigsame Croll wird zum verkannten,
beredten Wortkünstler, der immer öfter die Laudatios auf andere
Kunstschaffende halten soll und zu vorletzt die Betreuung einer Erbschaft
an die Stadt übernimmt: Ein Haus voller Bücher, deren Nutzanwendung
Croll bestimmen darf.
Zuletzt wird Croll eingewiesen, die verschiedenen Personen, vereinigen
sich zu wenigen, Croll ist Altenschwend und auch Heraklit, der Schöne,
der sich nur mühsam bewegen und kaum reden kann.
Die Vorwegnahme des Ausgangs ist bei diesem Buch nicht möglich,
denn wohin diese genußreiche Sprachreise vom Innen ins Außen
und umgekehrt bei den einzelnen LeserInnen führt, muß und kann
sich jeder und jede selbst erlesen. Es könnte z.B. ein Buch über
das Procedere des Schreibens an sich sein, das mit dem Besten wirbt, was
Schreiben sein sollte, nämlich ausdrucksstark und mit integerer Klarheit
das reichhaltig Wahrgenommene zu vermitteln. Das Tempo der Muße wird
bei Cordes zu einem fesselnden Ereignis, das einem die Angst vor dem Verrücktwerden
nehmen kann.
Hermann Hesses Steppenwolf hat endlich einen würdigen Nachfahren
gefunden.