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Moune und Lila können miteinander nur flüstern. Sie sind Gefangene
in einem Lager. Um der kleinen Lila das Einschlafen zu erleichtern, erzählt
ihr Moune Geschichten. Zum Beispiel jene, wonach früher einmal alle
am Montag geborenen Kinder verflucht und auf dem Rücken mit einem
Rattenmal versehen wurden. Wer sich von ihnen nicht im Verborgenen hielt,
wurde von Soldaten verfolgt. Es mußten erst viele dieser unglücklichen
Kinder sterben, bis eines Tages echte Ratten die Soldaten zu Tode bissen.
Oder jene von einem Herrscher, der bestimmt hatte, daß alles was
wahr ist, unwahr sein, und wer sich nicht an diese Regel hielt, getötet
werden sollte. Dieser Herrscher kam schließlich genauso wie ein anderer,
der einen Gehorsamstrank ausgeschenkt hat, an seinen eigenen Befehlen um.
Für viele ihrer Opfer war es da allerdings oft schon zu spät.
Im Gedenken an seine Großeltern verfaßte François
David eine Geschichtensammlung, die den Intentionen üblicher Gute-Nacht-Geschichten
einigermaßen zuwiderlaufen. Nur wenige sind so tröstlich wie
die von einem Herrscher, der ein allseits verachtetes, fünftes Rad
an seinem Wagen zu schätzen lernte. Meistens geht es ihnen um Erkenntnisse,
die in schonungsloser Deutlichkeit menschliches Unwesen offenbaren, wenn
Menschen erst einmal zu Macht und Einfluß gekommen sind. Die Rahmenhandlung
dieser Geschichten ist auf das Wesenlichste reduziert. Der bewußt
vage gehaltene historische Kontext fordert die Kinder heraus, nach dem
Wie und Warum solch beängstigender Einschlaf-Situationen zu fragen.
Ist das Kindern ab zehn Jahren zuzumuten? Allein angesichts der immer
neuen, auch von ihnen wahrgenommenen Schreckensbilder in den Fernsehnachrichten
läßt sich das mit einem klaren Ja beantworten. Die kindliche
Wahrnehmung solcher Bilder wird in ihrer Wirkung ebenso unterschätzt,
wie das, was Kinder zu begreifen in der Lage sind, wenn man ihnen nur die
Gelegenheit dazu gibt.
"Ein kleines Licht in der Nacht" fasst den Schrecken in eingängig
märchenhaft poetische Formeln und macht an ihnen die dem Schrecken
vorausgehenden Mechanismen deutlich. Damit leistet das Buch einen wichtigen
Beitrag, diffus überwältigenden Ängsten konstruktiv zu begegnen.
Man sollte die Kinder jedoch mit dem Buch nicht allein lassen. Am besten
wäre hierfür eine verständnisvolle Erzähl- oder Unterrichtssituation,
die diametral zu den Inhalten der Geschichten steht. So vermögen die
Kinder dann auch leichter die leise Hoffnung schöpfen, daß Erkenntnisse
über die Unmenschlichkeit, die Unmenschlichkeit vermeiden helfen -
insbesondere in unserem eigenen Land.