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Die in sich abgeschlossene Erzählung
JERUSALEMS NACHT bildet das letzte Glied einer Trilogie von
Sven Delblanc. Auch dieses Notturno soll als Lehrstück
über das Scheitern der Vernunft, über
den ungleichen, vorab entschiedenen Kampf des Geistes mit der
Geschichte verstanden werden.
Und so hebt ein tief verstimmtes Lied zynischer Resignation an,
welches ein gewisser Philemon, seines Zeichen ehemaliger Astronom
unter dem Feldherrn und späteren Kaiser Titus, nach
griechischer Weis` in Briefform einem
gewissen Apollonios vorträgt.
70 n.Chr. belagern die Truppen Roms Jerusalem. Eine Sonnenfinsternis
vor dem entscheidenden Angriff hält die bedrohliche Situation
für einen geschichtlichen Moment in der Schwebe: Die Truppen
sind in ihrem Aberglauben derart gelähmt,
daß Titus gezwungen ist, über eine "Ermunterung"
nachzudenken, die über die rasch entzündeten Lagerfeuer
hinausgeht. Dabei helfen ihm gewollt und ungewollt,
zwei weitere personifizierte Klischees, die die trauliche
Unterredung mit seinem eifersüchtigen Astronomen stören.
Neben dem Herrscher und seinem Sternengucker bevölkern
nun auch der verachtete Überläufer und Geschichtsschreiber
Josephus Flavius sowie der gefangengenommene
und schriftgelehrte Jude Eleasar das Zelt.
Mit viel geschwätziger Weisheit wird dann wegen zweier,
dreier Geistesperlen aneinander vorbeigeredet, um zuletzt den Juden
und letzten Zeugen Jesu wirkungsvoll ans Kreuz zu nageln:
"Die Decke der Finsternis wurde von der Stadt gehoben,
und das Licht strahlte hell über Jerusalem",
das nun, wie im Lexikon nachzulesen, fällig für seine
Eroberung war.
Jedoch ist der spazierengeführte Kenntnisreichtum
des Autoren nicht immer verläßlich: Gerade dem Juden
Eleasar unterstellt Delblanc die pauschalisiernde
Dummheit, daß die Pharisäer, alle "eines Schlages"
gewesen wären, was deren "schmeichlerisches
Lächeln und heuchlerische Ehrerbietung" anginge.
Das eigentliche Thema, die sattsam bekannte Erfahrung,
daß der Macht (scheinbar) alles erlaubt ist, wird
mit keinem neuen orginellen Gesichtspunkt vorgeführt,
geschweige denn, daß die Erzählung einen neuen orginellen
Ausweg aufdecken würde.
So wird der von Eleasar erinnerte jesuanische Geschlechterkampf
nur unter dem Motto ein "bißchem Feminismus" und in
gelehrten Allgemeinplätzen gestreift.
"Was bleibt unserem armen Geschlecht? Eine neue Menschheit
zu schaffen, die in sich die Disziplin und Kraft
des Mannes mit der Geduld und Liebe der Frau vereinigt, genau
das, was der große Gedanke meines Meisters war?
Oh, dieser ewige Traum, der Mann und Frau dazu treibt, einander
zu umarmen und in den höchsten Stunden der Liebe die Ahnung von einer
höheren Menschheit zu empfinden!"
Delblanc mag das ja als den Geniestreich einer konsequent
eingehaltenen Konstruktion ansehen, wenn er in der "Frauenfrage"
keine Frau zu Wort kommen und erst recht nicht in Aktion treten
läßt.
Dabei wäre die keinen und keine
ausschließende Liebeslehre Jesu ein Stoff, der
unter die Haut gehen könnte - soll er wohl
aber nicht, sonst würde der reine Geist von einer Gefühlswallung bedroht und müßte
seinen Kopf einziehen.
Der Autor hat sich offensichtlich mehr von der altgriechischen
Form als von der inhaltlichen Auseinandersetzung
leiten lassen. Aber selbst der intellektuelle, die Ästhetik
eines Elfenbeinturm umkreisende Leser wird
das Buch am Ende ziemlich enttäuscht zuklappen, denn
wie der Inhalt wirkt auch die Form wie nacherzählt,
kunsthandwerklich ganz nett, aber ohne weiterführende
eigenständige Kontur, farblos wie die Auftragsarbeit
eines schon seit langem anerkannten Literaturpreisträgers.