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J. und P. sind Kürzel, um die sich das ganze Handeln und Erzählen
des neuen Romanes von Ingeborg Drewitz drehen. Vordergründig als die
nicht weiter ausgeführten Vornamen der Protagonisten eingesetzt, sollen
sie zugleich zwei scheinbar diametral entgegengesetzte Lebensantriebe versinnbildlichen. Lebensantriebe, nicht (!) Prinzipien, die so alt wie die Menschheit sind,
aber ihre Gestaltung in zwei, auch für uns heutige Menschen nachvollziehbaren
Biographien finden.
Dem älteren P., Jahrgang 1908, gelang die Flucht
vor dem Naziregime in die USA, um dort als Physiker im Team von Oppenheimer
für die ersten in Hiroshima und Nagasaki gezündeten Atombomben
verantwortlich zu zeichnen - Prometheus, der das von Zeus den Menschen verweigerte
Feuer stahl ...
J., Jahrgang 1945, erst Studentenführer, dann schlecht
bzw. gar nicht bezahlter Sozialarbeiter, versuchte bei den Ausgestoßenen
oder noch gar nicht in die Gesellschaft Aufgenommenen mit Geduld und Güte,
Vertrauen in sich und das Leben zu wecken, und wird schließlich Opfer
dieser sich selbstverleugnenden Güte - Jesus, der die Menschheit zu
erlösen suchte?
Damit sich diese Lebensläufe nicht nur zufällig
treffen, sondern sich auch auseinandersetzen und 'verknäueln'
können, fand Ingeborg Drewitz eine nachgerade geniale wie konsequente formale
Lösung: Bar jeder äußeren Überlegenheit treffen sich
P. und J. nicht im freien Lebensvollzug, der sie doch nur wieder in den
Bann der eigenen Bezüge gezogen hätte, sondern in dem abgeschlossenen
Raum und der ge(maß)regelten Zeit einer Nervenheilanstalt. Wegen
der ähnlichen Krankheitsbilder werden sie zusammen in ein Zimmer verlegt ...
Aber hier hört die äußere Konstruktion auf, sich einzumischen,
das allein führt nicht automatisch zum Gespräch, zur Auseinandersetzung.
Selbst jetzt gäbe es noch genügend
Möglichkeiten sich voreinander zu verkapseln, sich gegenseitig auszuschließen.
Mit zarter Behutsamkeit läßt die Autorin erst nach und nach
und sehr plausibel die beiden Männer aufeinander zugehen. Ist das
Eis gebrochen, kommt es prompt zur Konfrontation: Zwei komplexe Charaktäre,
zwei Epochen ...
P's Entscheidung, mitzuhelfen, die Sorgen und Nöte
der gesamten Menschheit durch die Herstellung scheinbar billiger Energie
abzubauen, entwickelte sich in der Vor- und Kriegszeit des 2.Weltkrieges.
J's Entscheidung, anstelle der rein rhetorischen Auseinandersetzungen als
Studentenführer die Möglichkeit der konkreten Hilfestellung für
die Randgruppen der Gesellschaft zu suchen, spiegelt sich in den Zeiten
der APO, der Terroristenprozesse bis hin zu denen der Instandbesetzer.
Jeweils davor und dazwischen stehen die Ausgangsdispositionen der Kinderzeit,
geprägt durch die jeweiligen Elternhäuser, Frauen und Freunde ...
P. ist nicht Prometheus, so wie J. nicht Jesus ist!
Ingeborg Drewitz zeigt
in ihrem Roman auf, warum Menschen die Wege des einen oder des anderen
beschreiten. Dabei konnte sie nicht auf einen Archetyp und wollte auch offensichtlich nicht auf ein Prinzip zurückgreifen. Es mußten
zwei 'beinahe gewöhnliche Lebensgeschichten' sein, die zu einer Entdeckungsreise
in die Zwiespältigkeit des eigenen, durch hellenistische und christliche Kultur
geprägten Selbst einladen.
P. ist bei allem Schrecken, den
er vor sich verantworten muß, der in seiner Verzweiflung verständlichere,
nähere Mensch. Im besten Wollen danebenzugreifen, aber immerhin etwas
entschieden zu haben, wächst aus einer älteren, vertrauteren
Wurzel als Liebe selbstlos leben zu wollen. J. mit seinem jesuanischen
Antrieb gerade in dem jüngeren Handlungsträger festzumachen,
ist provozierend und bedurfte neben der Sprachfertigkeit einer Ingeborg
Drewitz auch der Kenntnis nicht nur von den Problemen der eigenen Jugend,
sondern auch der nachfolgenden Generationen, um in dieser Figur nicht nur
einfach das personifizierte Helfersyndrom zu stilisieren. Überhaupt
Jesus ins Spiel zu bringen und ihn an einer 'gewöhnlichen' Biographie
zu messen, hilft ein großes Tabu zu lüften.
Wie gesagt, P. ist nicht Prometheus, und J. ist auf keinen Fall ein
von den Toten auferstandener Jesus Christus, aber die beiden können
noch voneinander lernen und am Schluß ganz gut miteinander leben -
wenn auch vorerst nur in der Nervenheilanstalt.
Nachruf zum 1. Todestag von Ingeborg Drewitz siehe:
Textenetz: Ingeborg Drewitz