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Robert Eisenman, seines Zeichens Professor für Religionen im Nahen Osten und Direktor der Theologischen
Fakultät der California State University in Long Beach, stellt zusammen mit Prof. Michael Wise fünfzig exemplarisch ausgewählte
Fragmentstücke aus den Funden in den Qumranhöhlen vor.
Der Sensationsgehalt dieser Fragmente mag ungefähr so groß
sein, wie das mit eigenen Augen bezeugen können der ersten Astronauten,
daß die Erde eine Kugel ist - das konnten phantasievolle Menschen
schon mit Galilei nachvollziehen, und die starrsinnig beengten reden selbst
heute noch der wortwörtlich zu verstehenden Bibel das Wort, wonach
die Erde eine Scheibe und die erste Frau Produkt einer männlichen
Rippe sei.
Trotz akribischer Offenlegung, die nach einem Kommentar jeweils die
Transliteration, d.h. die nunmehr deutlich gedruckt nachlesbaren hebräischen
Schriftzeichen und anschließend die wortwörtliche Übersetzung
dieser Fragmente stellt, könnte sich insbesondere bei Laien christlich-theologischer
Themenstellungen Enttäuschung breitmachen.
Um nämlich Eisenmans Arbeit würdigen zu können, ist
zumindest die theoretische Ausbildung zum Pfarramt vonnöten, nicht
nur wegen der hebräischen Schriftzeichen, die lediglich in Konsonanten
überliefert, viel Deutungsspielraum bei der Übertragung lassen,
sondern auch wegen der vielen nötigen Querverweise zur Bibel, zu talmudischen
Texten usw. ...
Auch ist der Titel JESUS UND DIE URCHRISTEN nicht ganz seriös,
zielt doch Eisenman eher auf die Konfrontation zwischen Paulus und jener
Gruppe in Qumran, die er nach Art ihrer Argumentationen mit Jakobus dem
Gerechten, dem leiblichen Bruder Jesu, ineinssetzen will. Während
Paulus in seiner Theologie die mit dem Erlösungstod Jesu erwirkte
Gnade betont, belegen die Fragmente Qumrans eine scharfe Entgegnung dieser
Theologie, wonach in der Naherwartung des Weltuntergangs nur ein bis zur
Askese striktes Einhalten der Gesetze die göttliche Rettung ermöglicht.
Eisenmans Verdienst liegt unbestritten in dem Zugänglichmachen
der Qumranschriften, die über vier Jahrzehnte von einem katholischen
"Konsortium" nur "zettelweise" herausgegeben wurden. Genauso unbestritten
dürfte nunmehr die evolutionäre Genese des Christentums sein,
d.h. daß die christlichen Konfessionen sich nicht aus dem einen Hauptquell
Jesu ergossen, sondern aus durchaus unterschiedlichen Überlieferungsströmungen
(also nicht nur den vier kanoniserten Evangelien!), deren erster erfolgreicher
Kanalisateur Paulus war. Welcher Kompromisse dann das Überleben der
Kirche(n) von Konstantin bis auf den heutigen Tag bedurfte, ist Teil einer
nicht gerade rühmlichen Kirchengeschichte. Aber das war auch schon
vor Eisenmans Buch gedacht worden und wird auch trotz seines Buches noch
von einigen für undiskutabel erklärt werden. Man kann also auf
die Kommentierungen zu JESUS UND DIE URCHRISTEN gespannt sein, denn um
es zu übergehen, ist es einfach zu bedeutsam, mindestens so bedeutsam
wie die erste bemannte Raumfahrt.
(Nachtrag vom 13. September 2023: In der Wikipedia heißt es zur Forschungsgeschichte der Qumranrollen heute im vorletzten Absatz über Eisenmans Schlussfolgerungen : "Damit diese Gleichsetzungen [von Eisenman hinsichtlich Paulus und Jakobus; Anm. von UK] überhaupt möglich waren, musste Eisenman gegen den Konsens der Forschung eine Spätdatierung der jachadischen Schriften in die letzten Jahrzehnte vor dem Jüdischen Krieg vertreten. Die übliche paläographische Datierung wurde mit der Radiokarbonmethode bestätigt. Eisenman argumentierte also gegen zwei wissenschaftliche Datierungsmethoden.")