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Wieland Eschenhagen (Hg.)

Die neue deutsche Ideologie

Einsprüche gegen die Entsorgung der Vergangenheit.
Luchterhand Verlag, Darmstadt 1988, 236 S., ISBN: 3-630-61748-4, >>> Amazon
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"Im sogenannten Historikerstreit ist unter Intellektuellen ein politischer Machtkampf mittels historischer Argumente entbrannt. Die Absage an die Vernunft, der Irrationalismus und die Geschichtsträumerei haben derzeit Hochkonjunktur, auch in ansonsten linksorientierten Köpfen und 'alternativen Zirkeln'."
Soviel zur Einstimmung in diese Aufsatzsammlung, die von Historikern, aber auch Soziologen, Politologen, Psychologen und Theologen in wissenschaftlicher Vielfalt 'bestritten' wird. Interessierte LeserInnen werden zweierlei feststellen können: Die Texte sind aller Ehren wert; und: Es besteht offenbar ein großer Unterschied zwischen der Erkenntnisforschung an sich und ihrer verständlichen Darlegung! Ich beziehe mich hierbei nicht auf meinen möglicherweise latenten Minderwertigkeitskomplex als Kleinbürger, sondern darauf, daß eine eindeutige (nicht unbedingt einfältige) Sprachregelung auch zu erhellerenden Aussagen führen könnte. Nur sehr wenige der 16 (ausnahmslos männlichen) Autoren nehmen in ihren Ausführungen über das WARUM der jüngsten Form von Verdrängung und Verbiegung deutscher Geschichte selbst Stellung. Gut die Hälfte betreibt nach den Regeln ihrer zu Recht angeprangerten Gegner sprachvergewaltigende Planspiele, die in ihrer Essenz die Wendehistoriker zwar nicht umstimmen, aber wenigstens dem eigenen (in der jeweiligen Geheimsprache geübten) Lager sagen soll, was dieses eh schon weiß oder zu wissen glaubt. Je näher es aber an den Knackpunkt des Warums oder Wohers geht, desto exotischer schraubt sich Worthülse an Worthülse. Welcome in the club!
Wenn D.Schellong auf S. 143 immerhin fordert: "Schauen wir in die ältere Literatur, dle - wie so oft - präziser ist!", spricht das für sich und ihn selbst. Er gehört zu den wenigen, die der nebulösen Zuweisung des deutschen Konservativismus mit seinem schier unglaublichen Erscheinungsextrem des Nationalsozialismus wenigstens mit zwei Zeilen auf das Subjekt Mensch selbst zurückführen, wenn er Martin Niemöller zitiert: "Und es fiel mir ein: die ganze Sache hat mir ja gar keinen Eindruck gemacht..." M.N. bezog sich damit auf seine eigene Einschätzung der Konzentrationslager, die es seit 1933 gab und über die er erst 1937, nun selber Insasse eines KZ's, nachdenken konnte.
M.Brumlik schreibt "Die möglichen, Einsicht(en) in die eigene Befangenheit (...), die bei jeder Behandlung dieses Themas mit einfließen könnten, dürften nur schwer und mühsam sein:
unmöglich sind sie keineswegs!"(S.91), aber er widerspricht dieser Annahme auf den vorderen Seiten, wenn er die fehlende 'Fernstentrauer' der Juden in Israel für die Juden Europas bis Kriegsende(!) als einen geradezu biogenetischen Defekt des Menschen an sich (miß-)deutet.
Wirklich bei sich, d.h. das reflektierend, was langes Studium für einen selbst ausmachen kann, sind Jürgen Ebach und Ulrich Irion. Selbst 34 Jahre alt schließt letzterer - noch eher abstrakt in nur angedeuteter Wir-form - seine beißend lakonischen Betrachtungen zu den ALTERNATIVEN WENDEMANÖVERN mit: "Die APO-Parole TRAU KEINEM ÜBER DREISSIG sollte von den Jüngeren beherzigt werden; die meisten Vertreter der älteren Jugend sind längst einer konservativen Arsenvergiftung zum Opfer gefallen", ab.(S.233)
Ebach geht einen Schritt weiter: "Ich verstehe das Datum meiner Geburt als Gnade, als Bewahrung. Eins aber muß ganz deutlich sein, (...): Gnade gibt es statt der Urteilsvollstreckung, nicht statt der Schuld."
Der wichtigste Aspekt von Geschichte ist ihm die Erinnerung. So stellt er u.a. in alttestamentlicher Tradition das in der Vergangenheit Erfahrene den gegenwärtigen gegenüber. Z.B. überlebten viele Nazigegner, weil sie in anderen Ländern (u.a. in der Türkei) Asyl fanden. Ebach formuliert dazu: "Einen Asylsuchenden sollst du nicht abweisen, denn Asylsuchende wart ihr selbst in anderen Ländern!" (S.108 u. 109) Seine 12 Seiten sind pralles durchaus auch profan prosaisches Denken, das seine besten Antworten in seinen Fragen offenläßt: "Auf die Frage, ob die NS-Verbrechen singulär waren, sollte (..) zunächst die Gegenfrage gestellt werden: Warum fragst du das? Was würde die eine oder andere Antwort für dich und dein Verhalten bedeuten?"
Diese Anthologie ist insgesamt (leider) nicht schlechter, als andere ihrer Art und muß wegen der zuletzt zitierten Autoren empfohlen werden.
Bleibt die Frage, wie lange die Wissenschaft Wissen schaffen muß, damit das Gros der Wissenschaftler seiner eigenen Beschränkungen bewußt werden kann.

Buechernachlese © Ulrich Karger


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