buechernachlese.de
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"Im sogenannten Historikerstreit ist unter Intellektuellen ein politischer
Machtkampf mittels historischer Argumente entbrannt. Die Absage an die
Vernunft, der Irrationalismus und die Geschichtsträumerei haben derzeit
Hochkonjunktur, auch in ansonsten linksorientierten Köpfen und 'alternativen
Zirkeln'."
Soviel zur Einstimmung in diese Aufsatzsammlung, die von Historikern,
aber auch Soziologen, Politologen, Psychologen und Theologen in wissenschaftlicher
Vielfalt 'bestritten' wird. Interessierte LeserInnen werden zweierlei feststellen
können: Die Texte sind aller Ehren wert; und: Es besteht offenbar
ein großer Unterschied zwischen der Erkenntnisforschung an sich und
ihrer verständlichen Darlegung! Ich beziehe mich hierbei nicht auf
meinen möglicherweise latenten Minderwertigkeitskomplex als Kleinbürger,
sondern darauf, daß eine eindeutige (nicht unbedingt einfältige)
Sprachregelung auch zu erhellerenden Aussagen führen könnte.
Nur sehr wenige der 16 (ausnahmslos männlichen) Autoren nehmen in
ihren Ausführungen über das WARUM der jüngsten Form von
Verdrängung und Verbiegung deutscher Geschichte selbst Stellung. Gut
die Hälfte betreibt nach den Regeln ihrer zu Recht angeprangerten
Gegner sprachvergewaltigende Planspiele, die in ihrer Essenz die Wendehistoriker
zwar nicht umstimmen, aber wenigstens dem eigenen (in der jeweiligen Geheimsprache
geübten) Lager sagen soll, was dieses eh schon weiß oder zu
wissen glaubt. Je näher es aber an den Knackpunkt des Warums oder
Wohers geht, desto exotischer schraubt sich Worthülse an Worthülse.
Welcome in the club!
Wenn D.Schellong auf S. 143 immerhin fordert: "Schauen wir in die
ältere Literatur, dle - wie so oft - präziser ist!", spricht
das für sich und ihn selbst. Er gehört zu den wenigen, die der
nebulösen Zuweisung des deutschen Konservativismus mit seinem schier
unglaublichen Erscheinungsextrem des Nationalsozialismus wenigstens mit
zwei Zeilen auf das Subjekt Mensch selbst zurückführen, wenn
er Martin Niemöller zitiert: "Und es fiel mir ein: die ganze Sache
hat mir ja gar keinen Eindruck gemacht..." M.N. bezog sich damit auf
seine eigene Einschätzung der Konzentrationslager, die es seit 1933
gab und über die er erst 1937, nun selber Insasse eines KZ's, nachdenken
konnte.
M.Brumlik schreibt "Die möglichen, Einsicht(en) in die eigene
Befangenheit (...), die bei jeder Behandlung dieses Themas mit einfließen
könnten, dürften nur schwer und mühsam sein:
unmöglich sind sie keineswegs!"(S.91), aber er widerspricht
dieser Annahme auf den vorderen Seiten, wenn er die fehlende 'Fernstentrauer'
der Juden in Israel für die Juden Europas bis Kriegsende(!) als einen
geradezu biogenetischen Defekt des Menschen an sich (miß-)deutet.
Wirklich bei sich, d.h. das reflektierend, was langes Studium für
einen selbst ausmachen kann, sind Jürgen Ebach und Ulrich Irion. Selbst 34 Jahre alt schließt letzterer - noch eher abstrakt in
nur angedeuteter Wir-form - seine beißend lakonischen Betrachtungen
zu den ALTERNATIVEN WENDEMANÖVERN mit: "Die APO-Parole TRAU KEINEM ÜBER DREISSIG sollte von den Jüngeren beherzigt werden; die meisten
Vertreter der älteren Jugend sind längst einer konservativen
Arsenvergiftung zum Opfer gefallen", ab.(S.233)
Ebach geht einen Schritt weiter: "Ich verstehe das Datum meiner
Geburt als Gnade, als Bewahrung. Eins aber muß ganz deutlich sein,
(...): Gnade gibt es statt der Urteilsvollstreckung, nicht statt der Schuld."
Der wichtigste Aspekt von Geschichte ist ihm die Erinnerung. So stellt
er u.a. in alttestamentlicher Tradition das in der Vergangenheit Erfahrene
den gegenwärtigen gegenüber. Z.B. überlebten viele Nazigegner,
weil sie in anderen Ländern (u.a. in der Türkei) Asyl fanden.
Ebach formuliert dazu: "Einen Asylsuchenden sollst du nicht abweisen,
denn Asylsuchende wart ihr selbst in anderen Ländern!" (S.108
u. 109) Seine 12 Seiten sind pralles durchaus auch profan prosaisches Denken,
das seine besten Antworten in seinen Fragen offenläßt: "Auf
die Frage, ob die NS-Verbrechen singulär waren, sollte (..) zunächst
die Gegenfrage gestellt werden: Warum fragst du das? Was würde die
eine oder andere Antwort für dich und dein Verhalten bedeuten?"
Diese Anthologie ist insgesamt (leider) nicht schlechter, als andere
ihrer Art und muß wegen der zuletzt zitierten Autoren empfohlen werden.
Bleibt die Frage, wie lange die Wissenschaft Wissen schaffen muß,
damit das Gros der Wissenschaftler seiner eigenen Beschränkungen bewußt
werden kann.