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Joschka Fischer

Risiko Deutschland

Krise und Zukunft der deutschen Politik. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 1994, 340 S., ISBN: 3-462-02341-1, >>> Amazon
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"Der kalte Krieg endete mit der Niederlage Rußlands, und es stellt sich jetzt die Frage nach den Friedensbedingungen. Gerade die deutsche Niederlagenerfahrung nach dem I. Weltkrieg zeigte, daß nichts so töricht und gefährlich sein kann wie ein schlechter Friede."
Joschka Fischer entwickelt in seinem neuen Buch RISIKO DEUTSCHLAND einen bedenkenswerten Forderungskatalog an die deutsche Politik, wonach sie ihre künftigen Interessen auf nachfolgende Punkte zu richten hätte: die Absage an jede deutsche Renationalisierung bzw. das Festhalten an der inneren und äußeren Westintegration Deutschlands; die Kontinuität des Atlantismus; die Vertiefung der europäischen Integration im Westen, gründend auf der engen deutsch-französischen Freundschaft; die Erweiterung der europäischen Integration nach Osten; die Unterstützung Rußlands auf seinem Weg in eine friedliche, demokratische, marktwirtschaftliche Zukunft; ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem.
Vor diese Forderungen legt J.F. ein nicht zuletzt im Anhang mit 352 Anmerkungen belegtes Geschichtsbild offen, das in der Analyse durchaus auch konservative Historiker zu Wort kommen läßt, um diese dann allerdings in ihren Schlußfolgerungen überzeugend zu widerlegen bzw. zu entlarven. Wenn J.F. also "die Kraft zu einem historisch denkenden 'Konservatismus' der Bundesrepublik Deutschland" fordert, dann muß das natürlich im Hinblick auf den vorgegebenen Kontext hinterfragt werden. Die "nur" 50 Seiten für den Blick in die Zukunft stehen danach auf festem Fundament und dürften selbst von den ärgsten politischen Gegnern (auch aus dem eigenen Lager) nicht so einfach vom Tisch gewischt werden können - sofern diese des Lesens mächtig und willens sind. Seine Vision, sein Credo, sein "Muß" für Deutschland liegt in der Einbindung an Europa. Allerdings: "Die vollendete Europäische Union wird es nicht als ein bürokratisches Projekt geben, sondern nur als ein demokratisches."
Diese Aussage benennt und erkennt zweierlei. Zum einen die notwendige Implikation von Demokratie, die das Finden von Kompromissen meint, zum anderen sollen Kompromisse aber nicht (wie bisher) um jeden Preis gefunden werden bzw. anstelle des kleinsten den niedrigsten, "lauen" Nenner suchen. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang dann auch einige seiner Aussagen über Deutschlands künftig anzustrebende Außen- und Verteidigungspolitik:
"Deutschland sollte sich weder zu einer weltpolitischen Rolle überreden noch gar zwingen lassen, denn seine Interessen sind europäisch begrenzt. Dabei gibt es nur eine Ausnahme, und das ist Israel ..."
"Statt einem eigenständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat sollte Deutschland deshalb eine Europäisierung der britischen und französischen Sitze anstreben, dies läge in der Logik einer deutschen Politik des 'Europa zuerst'."
"Kurz: Europa hat weltpolitische Interessen, nicht Deutschland."
Literarisch hat das Buch einen Nachteil: J.F. schreibt wie er spricht. Während das letztere so manch dünn daherbretternden TV-talkshow aufwertet, wirkt es geschrieben barock überladen. So fordert es z. T. unötige Geduld, wenn Fischers Wortkaskaden in engen Spiralen um einzelne Punkte kreisen, die sich dem gutwilligen Leser längst erschlossen haben. Aber vielleicht wirft diese Technik auf Fischers Gang durch die Institutionen ja dereinst auch noch einen Dr. h. c. ab ...
Inhaltlich jedoch setzt J.F. mit diesem Buch Glanzlichter dank seiner eindeutigen und zugleich differenzierenden Positionen sowie des bislang selten dokumentierten Mutes heutiger Politiker, über die nächste Wahl hinaus vorzudenken, indem sie erstmal nach-denken.

Buechernachlese © Ulrich Karger


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