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Zu schreiben, bei Suhrkamp ist eine Biographie über ALBERT EINSTEIN
erschienen, wäre eine schlichte Untertreibung.
Albrecht Fölsing, Leiter der Abteilung "Natur und Wissenschaft"
beim NDR, legte seine (Er-)Kenntnisse über Albert Einsteins Werk und
Leben mit der Sorgfalt eines auf Objektivität bedachten Wissenschaftlers
in einem anspruchsvollen Sachbuch nieder. So beanspruchen denn allein die
zahlreichen quellenverzeichnenden Anmerkungen zu den Fußnoten, nebst
einer Zeittafel, dem Literaturverzeichnis sowie dem Personenregister 130
Seiten. Ein schönes Gegengewicht dazu sind in der Mitte des Buches
die 32 Seiten auf Kunstdruckpapier, die Einsteins Werden auf Photos aus
den Jahren 1894 bis 1954 belegen.
Bleiben noch gut 800 Seiten "Biographie"... Sie sind für den Normalsterblichen
in Sachen Physik eine Zumutung, und wer in dieser Biographie das rührend
anekdotenreiche Gemenge üblicher Biographien erwartet, müßte
sich heftig enttäuscht davon abwenden.
ABER: Eine Zumutung ist nicht unbedingt etwas Schlechtes, und sich
auf den Kampf durch Fölsings Werk einzulassen, zeitigt allemal Gewinn.
Studenten der Physik, aber sicher auch deren Professoren, werden den Schilderungen
des "work in progress" Albert Einsteins sehr gut folgen und mit Genuß
nachvollziehen können. Denen wird der Unterschied zwischen "allgemeiner"
und "spezieller" Relativitätstheorie sicher auch noch nach der Lektüre
dieses Werkes haften geblieben sein. Für wen das aber nicht zutrifft,
sollte die ca. 300 diesbezüglichen Seiten nicht einfach umblättern,
sondern zumindest versuchen, sie "querzulesen". Ihnen ist nämlich
auch viel Relevantes zum Verständnis für den "anderen" Einstein,
der als Pazifist und Gegner der Wasserstoffbombe in die Geschichte eingegangen
ist, zu entnehmen. Den vor allen am Leben Einsteins interessierten LeserInnen
wird zudem auf den "restlichen" 500 Seiten genügend Lesestoff gegeben.
Hierin erörtert, belegt und zitiert Fölsing all das, was das
Leben Einsteins neben und mit seiner nobelpreisgekrönten Genialität
ausmachte - soweit es auch wirklich authentisch nachzuweisen ist. Hier
wird mancher von der Widersprüchlichkeit Einsteins bestenfalls unangenehm
überrascht, wenn nicht gar entsetzt sein. Daß er während
des I.Weltkrieges aktiv gegen die "patriotische" Hetze seiner Kollegen
anging und selber mit Enthusiasmus an dem für die Kriegsmarine bedeutungsvollen
Kreiselkompaß experimentierte, ließe sich ja vielleicht noch
erklären, nicht aber die offenbar gewordene Ignoranz als Vater, die
in einem heftigen Widerspruch zu der großzügigen Anteilnahme
gegenüber Freunden und Bekannten stand, wenn er z.B. deren Flucht
aus dem Deutschland des III.Reiches ermöglichte.
Als Einsteins Frau erschöpft und erschüttert von der Beerdigung
ihrer Tochter aus Europa zurückkehrte, fand sie ihren Mann "in
ausgezeichneter Verfassung vor. Nichts von all dem Schweren tritt wirklich
an ihn heran, er ist in der glücklichen Lage, alles von sich abschütteln
zu können. Darum kann er auch so schön arbeiten..." bzw.
statt seine Frau auf ihren schweren Gang zu begleiten, sich "prächtig"
beim Segeln erholen. Fölsing erlaubt sich auch hier so gut wie keinen
Kommentar zu Einsteins Verhalten, aber gerade die nüchterne Berichterstattung
solch keineswegs singulärer Ereignisse im Leben Einsteins verfehlt
ihre Wirkung nicht. Ein anderes Phänomen ist die Wandlung des "konfessionslosen"
Einstein zum überzeugten "Zionisten", der sich mit Vehemenz für
den Staat Israel einsetzte und seine Theorien erst spöttisch, später
aber immer ernsthafter mit religiös-kosmologischen Betrachtungen kommentierte.
Einstein nur als "guten" oder "schlechten" Menschen zu apostrophieren,
ist spätestens nach der Lektüre dieser Biographie nicht mehr
möglich - sehr wahrscheinlich aber zählte er zu jenen wenigen
Menschen, die ihre gegebenen Möglichkeiten vollends ausgeschöpfen
und dabei sehr viel öfter als der Durchschnitt an ihre Grenzen gelangen.
Das verlangt allemal Bewunderung ab, die Frage ist: Für wen oder was?