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Der Plot ist von klassischer Schlichtheit: Der mittlerweile weltberühmte
Autor Jostein Gaarder entdeckt auf einem Flohmarkt in Buenos Aires eine
rote Kassette mit alten Handschriften. Es handelt sich hierbei mit großer
Wahrscheinlichkeit um eine Abschrift eines Briefes an Aurelius Augustinus,
der mit seinen im 4. Jahrhundert verfassten "Bekenntnissen" zum
"heiligen Kirchenvater" der katholischen Kirche erhoben wurde. Die
Absenderin ist eine gewisse Floria, die als namenlose "Konkubine"
in eben jenen Augustinus Bekenntnissen nur die Rolle eines seiner "irdischen
Irrwege" spielt.
"Um des eigenen Seelenheils willen" galt es Augustinus, sich von ihr
und der sündigen Fleischeslust überhaupt abzugrenzen. Floria
"entlarvt" Aurelius Augustinus nun in ihrem Brief als ziemlich ignoranten
Softi-Chauvi, der bis zuletzt unter der Fuchtel seiner eifersüchtigen
Mutter stand. Dazu hat sie sogar all jene Philosophen und Evangelisten
studiert, die auch ihren einstigen Lebensgefährten beeinflußt
haben.
Zwar offiziell nicht verheiratet, währte das Zusammensein von
Aurel und Floria immerhin gut fünfzehn Jahre. Und ihren gemeinsamen
Sohn hatten sie noch lange vor den Anwandlungen Aurels "Adeodatus"
(der von Gott gegebene) genannt.
In zehn Anläufen beziehungsweise in zehn Kapiteln entzieht Floria
den Bekenntnissen des Augustinus Zitat für Zitat den Boden, wirft
ihm in resignativ liebevoller Ironie seine Selbstvergessenheit und Bigotterie
vor. Zuletzt gilt ihre Furcht vor allem dem, was "die Kirchenmänner
eines Tages vielleicht mit Frauen wie mir machen werden."
Angefangen von den in Fußnoten vermerkten freien Übersetzungen
des angeblichen lateinischen Orginaltextes bishin zum Nachwort, worin er
seine Naivität beklagt, der Vatikanischen Bibliothek eben dieses "Original"
ohne Quittung zur Überprüfung gegeben zu haben, bleibt Jostein
Gaarder seiner Fiktion treu. Dennoch kann diese Konsequenz nicht darüber
hinwegtäuschen, daß es sich hierbei um eine handwerklich durchaus
saubere Kommentarstudie handelt. Der eigentliche Autor ist mit seinen mehr
als die Hälfte des Buches füllenden Textzitaten Augustinus. Der
Aufbau der Fußnoten, der Gebrauch von nicht weiter erläuterten
Abkürzungen erinnert an den Textapparat popularwissenschaftlicher
Sachbücher und setzt einige Vorkenntnisse voraus. Wer, insbesondere
welcher Jugendliche weiß heutzutage schon, daß Kor. 7, 1-7
die Verse eins bis sieben in Kapitel sieben des ersten Paulusbriefes an
die Korinther im Neuen Testament meint? (Laut Verlag bereits 13-jährige ...)
Zu loben ist die Sprachregelung und damit zugleich die Übersetzung
von Gabriele Haefs: Die Augustinus-Zitate und Florias Anwürfe sind
glaubwürdig und plausibel aufeinander abgestimmt. Aber Gaarder hat
hier Eulen nach Athen getragen, ein wellenschlagendes Skandalon ist sein
neues Buch nicht. Für Philosophie- oder Religionskurse in der Oberstufe
eines Gymnasiums mag es ihm immerhin sehr nützlich sein, um der Gleichung
'Frömmelei = Lebensverachtung' auf die Spur zu kommen.
Weitere Besprechungen zu Werken von Jostein Gardner und Sekundärliteratur dazu siehe:
Büchernachlese-Extra: Jostein Gardner