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Georg war erst vier Jahre alt, als sein Vater Jan-Olav einer unheilbaren Krankheit erlag. Jetzt ist Georg fünfzehn und fühlt sich mit seiner Mutter, ihrem neuen Mann Jørgen und der kleinen Halbschwester Miriam sehr wohl. Doch dann entdeckt die Großmutter einen Brief von Jan-Olav an Georg. Keinen Augenblick zu spät, denn Jan-Olav hat darin auf einen größer gewordenen Georg als Leser gehofft, der auch versteht, was er ihm als vierjährigen damals nicht zu sagen vermochte.
Es scheint bei Jostein Gaarder eine Gesetzmäßigkeit zu sein: Je jünger die anvisierte Leserschaft, desto runder gelingen ihm Aufbau und Sprachregelung seiner Geschichten. Nachdem der Erwachsenenroman "Maya" die Gutwilligkeit des Lesers in jeder Hinsicht überstrapazierte, macht sein als Jugendroman konzipiertes neues Buch wieder einen großen Sprung nach vorne und zeichnet sich durch eine originelle Konstruktion aus. Sohn Georg schreibt zusammen mit dem verstorbenen Vater ein Buch, das heißt er umrahmt dessen Brief mit seinen Kommentaren und Überlegungen. Denn Jan-Olav stellt seinem Sohn viele Fragen über das Leben, die Liebe und den Tod und spitzt sie auf die eine zu, die sinngemäß lautet: Wäre es nicht besser, ganz auf ein Geborenwerden verzichten zu können, weil man sich dadurch Leid und Todesängste ersparen könnte? Unterfüttert werden diese Fragen mit der wunderbar anrührenden wie geheimnisvollen und komischen Binnengeschichte vom "Orangenmädchen", das Jan-Olav in seiner Jugend kennen und lieben gelernt hat. Die gedankliche Auseinandersetzung, die Gaarder in den Köpfen seiner Leser anstoßen will, ist nicht nur für jüngere Leser fesselnd - nur leider ist dieser posthume Dialog als Rahmengeschichte längst nicht so durchgängig überzeugend gestaltet wie die Binnengeschichte vom Orangenmädchen.
Nichts gegen überaus intelligente, einsichtsfähige Jugendliche, aber wenn am Ende die keineswegs schlichtere Mutter durchaus verständliche unweise Reflexe zeigt, hätte man solche gerade auch der zur Identifikation angebotenen Figur Georgs öfter zubilligen müssen. Und zwar in einer alterstypischeren Sprache, die dann auch ganz von selbst jedweden zu-gut-um-von-dieser-Welt-zu-sein-Pathos vermieden hätte. Gaarder kann es besser, hat längst seine staunenswerte Erzählkraft bewiesen.
"Das Orangenmädchen" weist nun immerhin wieder in die richtige Richtung: Die konzentrierte, spannende Aufbereitung eines faszinierenden Themas sowie die den größten Raum einnehmende Binnengeschichte - aber sein früheres, für jüngere gedachtes "Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort" ist eben noch überzeugender, weil hier eine ähnliche Fragestellung perfekt in die komplette Erzählung eingearbeitet wurde.
Weitere Besprechungen zu Werken von Jostein Gardner und Sekundärliteratur dazu siehe:
Büchernachlese-Extra: Jostein Gardner