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Hymnen und hohe Auszeichnungen für eine Einführung in die Philosophie - dennoch werden vermutlich nur ältere "Jugendliche" den
Bestseller von Jostein Gaarder zu schätzen gewußt oder auch
nur zu Ende gelesen haben. Ein Jahr nach Erscheinen von SOPHIES WELT wurde
in Norwegen Gaarders Auseinandersetzung mit dem christlich-theologischen
Schöpfungsbegriff veröffentlicht. Der Titel 'Durch einen Spiegel,
in einem dunklen Wort' ist ein Versausschnitt aus dem 13. Kapitel des Paulusbriefes
an die Korinther, das mit dem allseits geläufigen Spruch endet: Nun
aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die
größte unter ihnen.
Die einst blond gelockte Cecilie lebt in einer sie liebevoll umsorgenden
Familie. Ängstlich sind Eltern, Großeltern und der Bruder darauf
bedacht, es Cecilie recht zu machen. Cecilie ist wütend und stur ..und
todkrank. Alle ahnen, daß sie mit ihr das letzte gemeinsame Weihnachten
verbringen werden. Als sich Cecilie von der rührenden Obhut ihrer
Lieben ausruhen will, lernt sie Ariel kennen. Ariel ist ein Engel ohne
goldene Haare, ohne Flügel und kaum größer als Cecilies
kleiner Bruder Lasse. Immer wenn nun Cecilie in ihren Wachphasen ohne "irdischen"
Besuch ist, entspinnt sich zwischen ihr und Ariel ein Frage- und Antwortspiel.
Natürlich will Cecilie alles über Engel wissen. Das Aussehen
Ariels erklärt sich schnell: Engel wachsen nicht, denn sie waren schon
immer da. Ein Wachstum von Haaren oder Zehennägeln wäre bedeutungsgleich
mit Vergänglichkeit. So waren auch Adam und Eva Kinder, und erst als
sie vom Baum der Erkenntnis aßen, wuchsen sie. "Die kleinen Schlingel
hatten einen solchen Hunger auf Wissen, daß sie sich schließlich
aus dem Paradies hinausgefressen haben." Und seit dem Sündenfall
sind die Erwachsenen nicht mehr so das Wahre. Sie haben sich die Welt zur
Gewohnheit werden lassen. Dagegen staunen die Engel "noch immer über
das, was Gott geschaffen hat. Er selbst ist übrigens auch ziemlich
verblüfft."
Aber wenn ein Mensch seine Augen zu seinem himmlischen Ursprung erhebt,
ist das so, als ob Gott sich selbst im Spiegel erblickt. Denn das Auge
ist der Spiegel der Seele, und Gott kann sich in der Menschenseele spiegeln.
Ob das nicht alles eine "Irrlehre" ist? "Wir nehmen so was im
Himmel nicht so genau. Dort wissen wir seit jeher, daß die Schöpfung
ein großes Rätsel ist, und wenn etwas ein Rätsel ist, dann
ist Raten erlaubt."
Dennoch bleibt Cecilie bis fast zuletzt skeptisch, und fordert die
erfrischend quergebürsteten Antworten Ariels heraus. So wird ihre
stereotype Erkenntnis, daß "kein Raumfahrer auch nur eine Spur
von Gott oder den Engeln gesehen" hat, von Ariel damit gekontert, daß
ja auch kein Gehirnchirurg je die Spur eines Gedankens gesehen hat.
Der eigentliche Kunstkniff Gaarders vollendet sich aber in den Fragen
und dem Erstaunen des Engels. Ein Engel hat zwar das Weltall zur Spielwiese,
kann fliegen und durch die Wände gehen, aber er verfügt weder
über unsere fünf Sinne noch über die Fähigkeit sich
zu erinnern und zu vergessen. Seine Fragen nach dem scheinbar Selbstverständlichen
läßt Cecilie das Wunderbare dieser Welt und nicht zuletzt das
Wunderbare am Menschsein selbst gewahr werden. Auf den zu Weihnachten ertrotzten
Skiern und dem Schlitten gleitet sie zusammen mit dem Engel noch einmal
unter dem Sternenhimmel, dann vermag sie ohne Bedauern "durch den Spiegel
zu gehen".
Hervorragend ins Deutsche übersetzt, könnte dieses Buch mit
seinen eindrücklichen Metaphern sogar SOPHIES WELT den Rang ablaufen.
Dem kopflastigen Materialismus unserer Tage setzt es das Erstaunen gegenüber.
Auch von daher ist der vom Verlag vorgegebenen Altersangabe (ab 13 Jahren)
diesmal ohne Vorbehalt zuzustimmen - was keineswegs heißt, daß
Erwachsene nichts an Cecilies Geschichte zu beißen hätten. Die
Verknüpfung des paulinischen Liebesgebotes mit dem altestamentlichen
Schöpfungsgedanken erhält hier einen besonderen Drall, zumal
Gaarder die ganze exegetische Breite nutzt und insbesondere die bei Kindern
oft mit falschem Zungenschlag wegerzogene Eigenliebe thematisiert. Im Namen
des Engels Ariel schwingen ein wenig Shakespeare (Der Sturm), Goethe (Faust)
und das Synonym von Jerusalem als "Herd Gottes" mit. So hat Ariel
auch keine Berührungsängste mit den im nordischen Sagenkreis
heimischen Raben Hugin (der Gedanke) und Munin (die Erinnerung), die auf
den Schultern Odins sitzen. Aber gerade weil diese Geschichte derart eindeutig
aus der christlichen Spiritualität schöpft, könnte sie auch
Atheisten beeindrucken - nicht um sie für eine Konfession zu missionieren,
sondern weil diese Spiritualität der immer nötigeren Weltsicht
des Erstaunens in unseren Breitengraden am treffendsten das Wort zu reden
vermag.
Last, but not least empfiehlt sich dieses kompaktere Werk Gaarders
auch wegen seines Spannungsbogens, der einen das Buch am liebsten erst
nach der letzten Seite aus der Hand legen läßt. Und neben all
dem Wunderbaren, die auch die Komik nicht zu kurz kommen läßt,
wohnt der Rührung am Schluß etwas Befreiendes inne.
Weitere Besprechungen zu Werken von Jostein Gardner und Sekundärliteratur dazu siehe:
Büchernachlese-Extra: Jostein Gardner