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Ingeborg Gleichauf

Jetzt nicht die Wut verlieren

Max Frisch - eine Biografie. Nagel & Kimche Verlag, München 2010. 271 Seiten. 18,90 EUR. Ab 16 Jahren. ISBN: 978-3-312-00989-3, >>> Amazon
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Der Schweizer Max Frisch (1911 bis 1991) ist nicht zuletzt dank seines Theaterstücks "Biedermann und die Brandstifter" kaum noch aus dem deutschsprachigen Schulkanon wegzudenken. Überschrieben mit "Nur nicht die Wut verlieren", zielt nun Ingeborg Gleichauf mit einer weiteren Biografie insbesondere auf junge und all jene Leser, die einen ersten Zugang zu diesem weltberühmten Schriftsteller und seinem Werk suchen. Ein Ziel, das leider nur sehr bedingt erreicht wird.
Zum einen liegt das an Max Frisch selbst, der offenbar Weniges an Eigenleben beschrieben und konkret kommentiert hat - und dies, wiewohl (oder gerade weil) im Zentrum seiner Werke die literarische Auseinandersetzung mit sich selbst und das Finden einer eigenen Identität gestanden hat. Eine ihn sein Leben lang beschäftigende Kernfrage war zudem, was mit Sprache überhaupt sagbar sei. Daran anknüpfend, beruft sich Gleichauf auf Frischs These, wonach ein Mensch mehr von sich preisgibt, wenn er anstatt konkret aus seinem Leben zu erzählen siebenundsiebzig Geschichten erfindet - mit der Folge, dass auf seine private Wirkungsgeschichte nur noch sehr summarisch eingegangen wird und selbst von einer Lebensgefährtin wie Ingeborg Bachmann hierzu kaum etwas, von den Kindern seiner beiden Ehefrauen kein einziges Zitat nachzulesen ist. Stattdessen geht die Biografin in ihren Kapiteln zwar chronologisch und meist in Dekadenschritten vor, lässt darin aber vor allem Zitate aus dem Werk von Max Frisch sprechen, welche die jeweiligen Lebensabschnitte meist aus ferner Rückschau zumindest indirekt beleuchten oder prinzipiell kommentieren. Und darin beweist Gleichauf wahrlich großes Geschick. Gefühlte Dreiviertel des Buches sind trefflich pointierter O-Ton Frisch, der ihm gewiss auch neue Leser zutreiben würde - wäre da nicht das andere Viertel.
Darin wird z.B. mit der "auch privaten" Verunsicherung nach einem abgelehnten Heiratsantrag verbunden, dass Frisch die Schriftstellerei Mitte der 1930er ganz aufgeben will und Architektur zu studieren beginnt. Die Autorin meint dazu noch einmal sehr folgerichtig, dass Frisch "sich offensichtlich in einer Krise befindet", wiewohl dies bereits durch ein unmissverständliches Zitat aus dessen Roman "Montauk" angezeigt wurde. Und dass dieser Roman entgegen der damaligen Entscheidung vierzig Jahre später auf dem Zenit seiner Schriftstellerkarriere vorgelegt wurde, hindert Gleichauf jedoch nicht daran, der einen Schlussfolgerung auch noch diese anzuhängen:
"Es mag sich gewagt anhören, aber vielleicht kann man davon ausgehen, dass Max Frisch ein Schriftsteller war und bleibt und dass dieser so dramatisch inszenierte Abschied einfach ein Weg ist zur Erweiterung seines Horizonts. Schön ist natürlich zu sehen, welche Nähe Frisch noch immer zum Theater hat, wie er seinen vorläufigen Abschied vom Schreiben inszeniert, als fände alles auf einer großen Bühne statt."
Gerade in den ersten Kapiteln über die Jugend- und Studienjahre versteigt sich Gleichauf in rhetorische Fragen und Denkfiguren, die einen sich alsbald mehr Gedanken um die Biografin denn um den behandelten Schriftsteller machen lassen. Oder wie bereits angedeutet: Wären da nicht die Zitate Frischs, hätte man das Buch gleich nach den ersten 30 Seiten beiseite gelegt - insbesondere als junger Mensch, dem der gegenüber dem "Jungautor" angeschlagene Oberlehrerinnenton arg aufstoßen dürfte.
Mit ihren Zitaten hingegen weiß sie dessen Fähigkeit zur plastischen Naturschilderung, seinen kritischen Patriotismus, seinen Hang zu "Ausbruchsfantasien" und nicht zuletzt auch sein Suchen nach "Utopien" eindrücklich zu belegen. Warum nur findet sie hierzu keine insbesondere auch für Schüler hilfreiche Struktur und Tonlage, die als "Biografie" zu überzeugen vermag? Dazu gehört auch ihre wiederholt zu kurz greifende und damit verfälschende Kommentierung einer vorgeblich bis an sein Lebensende "unpolitischen" Haltung.
Abgesehen von den Registern für zitierte Personen und Werke weist selbst der 12-seitige Anhang Mängel auf, stimmen doch die im tabellarischen Lebenslauf genannten Daten nicht immer mit dem Text überein, werden auf die erst hier aufgelisteten "Abkürzungen" zitierter Werktitel nicht im einleitenden Kapitel hingewiesen und sind die Literaturlisten weder alphabethisch noch chronologisch nach Erscheinen sortiert.
Schade - knapp ein Jahr vor Max Frischs hundertstem Geburtstag erschienen, hätte das im Impressum nicht genannte Lektorat ja eigentlich noch genügend Zeit gehabt.

Buechernachlese © Ulrich Karger



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