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Zu Unrecht vergessene Autoren und ihre Werke aufzuspüren und zu
drucken, ist heutzutage fast ein genauso riskantes Unterfangen, wie die
Arbeiten (noch) nicht "zugkräftiger Namen" zu fördern.
Von Hermann Grab (geboren 1903 in Prag - gestorben 1949 in New York) sind
nun wieder sieben Erzählungen nachzulesen. Die ersten beiden, UNORDNUNG
IM GESPENSTERREICH und DIE KINDERFRAU, beschwören auf nur wenigen
Seiten Kindheitserinnerungen. Keinesfalls friedlich-niedlich, sondern das
Reich der Schatten und Gespenster als real empfundenen Bestandteil des
Alltags vergegenwärtigend, weisen sie in leisen eindringlichen Tönen
auf die allzunahe Zukunft hin. DIE MONDNACHT und die übrigen Erzählungen
heben sich insofern von den ersten beiden ab, als sie weniger an Poe's
phantastische Koinzidenzen gemahnen, sondern allein anhand der Wahrnehmungen
einer detailgenau beobachteten Umwelt schildern, was hinterher angeblich
keiner vorausgeahnt, keiner gesehen hat. "Frau Springer bemerkte, wie
ein alter Herr mit rosigem Gesicht und sehr gepflegtem Bart sie lange ansah,
es war der Professor Weigel, und sie wußte nicht, daß er gerade
seine Galle spürte und daß er hoffte, er werde nicht nach Hause
gehen müssen, denn seine Frau hatte sich gewünscht, bei dem Konzert
dabei zu sein."
Sich scheinbar ernstlich mit den "Tragödien" gesellschaftlicher
Beachtung oder Nichtbeachtung anläßlich eines Konzertes zur
Unterstützung der "Helden an der Front" auseinandersetzend,
stellte Grab die folgenschwere Tragödie ignoranter Egozentrik bloß.
Von Brotberuf Musiklehrer und -kritiker setzte er aber stets auf Vielstimmigkeit.
So entlarvt MONDNACHT nicht nur das "Kolorit" der untergehenden
k.u.k. Monarchie im großbürgerlichen Milieu Prags, sondern erzählt
zugleich anrührend die Geschichte eines 14-jährigen, der sich
bei jenem Konzert verliebt und dank seines überströmenden Gefühls
einen neuen Zugang zur Musik entdeckt hat. DIE ADVOKATENKANZLEI, RUHE AUF
DER FLUCHT, DER HAUSBALL und schließlich die Titelgeschichte HOCHZEIT
IN BROOKLYN greifen immer wieder neu das Thema eingeschränkter Wahrnehmung
im Wandel der Zeiten vor, während und nach dem II. Weltkrieg auf.
Das Schauderhafte daran ist das Gefühl, womöglich selbst zu keinem
Zeitpunkt weitblickender gewesen zu sein. Wenn eine Sekretärin in
der Advokatenkanzlei ihren Chef erst verehrt, seine Verhaftung als Jude
dann aber nur noch achselzuckend hinnimmt, wird das bei Grab nicht weiter
kommentiert, sondern als scheinbar gottgegeben festgehalten. Seine Ironie
ist unaufgeregt, läßt allein wirken, was er zu erzählen
hat und beweist gerade damit, wie sehr er an dieser Art von Mitmenschlichkeit
gelitten haben muß. Daß zu seinen Vorbildern als gebürtigem
Prager auch Kafka gehörte, dürfte sicher sein. Hervorragend denn
auch sein Spiel mit den Erzählperspektiven: Eine harmlose Eröffnung
wächst sich unter Bezugnahme des weiteren Kontextes zu einem Schreckensbild
aus, dem man sich nicht mehr entziehen kann und sich u.a. wegen Grabs meisterlich
subtiler Sprachregelung auch nicht länger entziehen sollte.