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Wo das Bild die Mattscheibe beherrscht, stören bedächtig tastende
Worte das angebliche Konzentrationsmaximium eines an den 90-Sekunden-Takt
gewöhnten Zuschauers. Bleibt die Buchform, um Autoren über sich,
ihr Werk und ihre Weltsichten in aller Ausführlichkeit befragen zu
lassen.
Halbleinern, fadengeheftet und mit Lesebändchen ausgestattet,
wird Günter Grass gewürdigt. Er ist der derzeit weltweit bedeutendste
deutschsprachige Autor, zu dessen Schülern sich John Irving und Salman
Rushdie zählen. Das empathische Gegenüber Harro Zimmermann hat
seine Werke scheinbar mit der Muttermilch aufgesogen. Entsprechend ist
dann zuweilen auch die Akustik dieses Werkstattgesprächs. Während
Zimmermann devot Germanistenmanierismen mit Grass'schen Wendungen umwickelt
nach oben sendet, erdet das wohlwollende Original unnachahmlich und druckreif
zurück. Doch einmal mehr wird das eigentlich Verstörende an Grass
deutlich, nämlich eine von sich und anderen abverlangte Präzision,
die über so manchen Horizont hinausgeht. Und das wird ihm vermutlich
wieder "übelgenommen" werden. Dabei sind die Erläuterungen
zu seinem pikaresken Stil, der u.a. Rabelais und Grimmelshausen zum Vorbild
hat, und zu seiner adaptierten Camus'schen Philosophie vom hoffnungsvollen
Steinewälzen eines Sisyphos, seine frühzeitigen Mahnungen gegen
das Nichtvergessen und gegen die Irrungen und Wirrungen nicht nur der 60er
Jahre auch als kaschierter Monolog weit lesenswerter als alles, was so
mancher Medienclown und Buchzerreißer heute von sich gibt. Und nicht
nur da, wo Grass die Kritikaster zu ernst nimmt und die Möglichkeiten
des heutigen Feuilletons überschätzt, offenbart er einen verletzlichen
Kern, der Schutz hinter einer rauhen Schale sucht, um sich auf weit höherem
Niveau mit Tätern wie Opfern auseinandersetzen und "VOM ABENTEUER
DER AUFKLÄRUNG" erzählen zu können.
Weitere Besprechungen zu Werken von Günter Grass und Sekundärliteratur dazu siehe:
Büchernachlese-Extra: Günter Grass