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Inspektor Michael Ochajon hat sich über die Feiertage zum jüdischen
Neujahrsfest zurückgezogen. Dennoch findet er keinen rechten Genuß
an seiner Brahms-CD. Ein Wendepunkt zeichnet sich ab, ein So-kann-es-nicht-weitergehen.
Da dringt vom Keller her das Weinen eines Babys zu ihm durch. Es liegt
in einer Pappschachtel. Für Ochajon wird dieses Baby zu einer fixen
Idee. Er will es entgegen jeder Logik behalten. Ein Stockwerk über
ihm wohnt Nita, eine alleinerziehende Mutter. Sie hilft ihm mit Babynahrung
und Strampelhöschen aus. Zusammen mit ihr könnte er vielleicht
sogar das Unmögliche eines Familienidylls schaffen, aber dann geschieht
ein Mord. Felix van Gelden, Oberhaupt einer weltweit gefeierten Musikerfamilie
wurde erstickt. Er ist Nitas Vater. Und wenig später wird auch noch
ihr Bruder Gabriel mit nahezu gänzlich abgetrenntem Kopf aufgefunden.
Wieder durchdringt die israelische Kriminalautorin Batya Gur einen
Zirkel mit besonderen Eigenarten. Diesmal eröffnet sie den Zugang
in die Beziehungsgeflechte zwischen den Liebhabern klassischer Musik und
den passionierten Virtuosen dieser Kunst. Selbst die größten
"Banausen" werden sich den spannenden, weil gut recherchierten und
anschaulich aufbereiteten Erörterungen über die "feinen"
Unterschiede nicht entziehen können. Die Option, in naher Zukunft
womöglich Wagner in Jerusalem aufzuführen, verweist dann auch
genauso wie die europäische Herkunft der Opfer auf das größte
Trauma Israels und setzt von daher den spezifischen Kontrapunkt zu einem
internationalen Thema. Im Vordergrund stehen jedoch die hervorragend gezeichneten
Charaktere von Nitas Familie. Die Metaphern der Musik korrespondieren beeindruckend
mit dem Innenleben dieser Handlungsträger. Seltsamerweise aber gelang
dies Batya Gur gerade bei Ochajon nur in skizzenhaften, zum Teil sogar
nur in unglaubwürdig behaupteten Sprüngen. Trotz dieses Makels
fesselt der Plot bis zur letzten Seite und läßt auch DAS LIED
DER KÖNIGE aus dem Krimi-Einerlei wohltuend hervorstechen.
Weitere Besprechungen zu Werken von Batya Gur siehe:
Büchernachlese-Extra: Batya Gur