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"Die ich rief, die Geister, werd' ich nun nicht los"; "Halb
zog sie ihn, halb sank er hin"; "Hier bin ich Mensch, hier darf
ich sein"; "Und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt"
- alles geflügelte Worte von Johann Wolfgang Goethe, die nun samt
den dazugehörigen Gedichten in einer handlichen Auswahl von Peter
Härtling nachzulesen sind. Wunderhübsch ausgestattet mit den
augenzwinkernden Illustrationen von Hans Traxler können sich jetzt
auch jene wieder an sie heranwagen, denen einst die Liebe zu Gedichten
im Allgemeinen und von Goethe im Besonderen durch stures Einpaukenmüssen
ausgetrieben wurde. Sie werden selbst den vier Prosastücken großes
Interesse abgewinnen. "Der Hirschgraben" erzählt zwei
Episoden aus Goethes Kindheit und "Der Löwe" in ellenlang bildreichen
Sätzen ein gar beschauliches Märchen über eine gewaltlose
Zähmung durch ein Kind mit Flöte. Dann der in seiner oberlehrerhaften
Haltung skurrile Brief des 16-jährigen Wolfgangs an seine kleine Schwester
Cornelia und fast ganz am Schluß das kleine Stück über
Marienverehrung in "Der Harfner und seine Tochter".
Aber auch wenn der Rezensent den eigenen Totschlag fürchtet, wird
an dieser Stelle eine heftige Warnung ausgesprochen.
Peter Härtling, der sich bislang in seinen Kinder- und Jugendbüchern
durch eine subtile, äußerst einfühlsame Didaktik auszeichnete,
ist mit dem Anspruch seiner Auswahl schlicht gescheitert. Eine Altersangabe
hat sich der Verlag zwar wohlweislich verkniffen, aber Härtling spricht
in seinem Vorwort vom neunjährigen Goethe und hat wohl auch in etwa
diese Altersgruppe gemeint, wenn er unter dem Titel "Ich bin so guter Dinge"
einen "Goethe für Kinder" zusammenstellen wollte.
Gewiß, da sind einige Kurzgedichte, die in ihrem Wortwitz sogar
jüngeren Kinder gefallen könnten - sofern sie ihnen wohldosiert
und mit viel Spaß an der Freude von Erwachsenen vorgelesen werden.
Die kürzlich als Einzelbilderbücher erschienenen Gedichte "Der
Zauberlehrling" und das hier seltsamerweise fehlende "Hexeneinmaleins"
fänden jedoch vermutlich noch größeren Anklang.
Ältere könnten den "Erlkönig" wiederentdecken, aber
die Anspielungen im "Osterspaziergang" aus dem Faust und die vertrackten
Satzungetüme der obengenannten Prosastücke werden sich auch ihnen
nicht erschließen.
Sind die ausführlichen Quellenangaben im Anhang noch zu loben,
hätte es zudem mehr als zweier "Übersetzungsfußnoten"
bedurft, um besagte Zielgruppe an diese Werke heranzuführen. Und ist
es überbordende "Political Correctness", wenn beim "Löwen"
eine Kommentierung zu "Türkenkopf" und "Mohrenhaupt"
schmerzlich vermißt wird und man sich gewünscht hätte,
daß das fürchterliche Gedicht "Die wandelnde Glocke"
am besten erst gar nicht aufgenommen worden wäre?
Nein, diese altväterlich demütige Verbeugung vor dem Sockel
unseres Meisterdichters hat mit kinderfreundlicher Aufklärung nichts
zu tun und ist somit eine falsch deklarierte Mogelpackung zum verlegerischen
Halali eines 250. Geburtstages im nächsten Jahr.
Weitere Besprechungen zu Werken von und über Peter Härtling siehe:
Büchernachlese-Extra: Peter Härtling