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Manches was gesagt und geschrieben werden müßte, wurde schon
vor langem gedruckt. So hat Marvin Harris bereits 1974 mit seinem Buch
COWS, PIGS, WARS AND WITCHES einen bedeutsamen Schlüssel zur Erkenntnis
unseres größten Problems auf der Erde, nämlich dem Menschen,
geschmiedet.
Nach fast 20 Jahren liegt nun die deutsche Erstausgabe dieses Werkes
in der exzellenten Übersetzung von Ulrich Enderwitz vor. In FAULER
ZAUBER findet der Anthropologe Harris für viele irrationale, scheinbar
nicht objektiv zu erklärende Fragen sehr plausible und rationale Begründungen:
für das Rinder-Tabu der Inder, das Schweine-Tabu jüdischer und
islamischer Herkunft, den "Männlichkeitswahn" und die Geltungssucht
(Potlatch-Phänomen) einiger primitiver Volksstämme, ebenso für
das Emporkommen verschiedener Messiasgestalten inklusive Jesus bishin zum
Hexenwahn vergangener und heutiger (Castaneda etc.) Ausprägung.
Harris Anthropologie nutzt Erkenntnisse der Biologie und insbesondere
von Ökologie und Ökonomie, um zu verblüffenden Ergebnissen
zu gelangen - verblüffend einfach wie die Antwort auf die Frage nach
dem Ei des Kolumbus und (leider) progressiv wirksam bis in die heutige
Zeit.
Wenn auch in dem Bewußtsein, daß sein Ausgangspunkt (das
Rinder-Tabu) willkürlich gewählt war, greifen seine Antworten
ineinander über, bedingen also auch die jeweiligen Fragen und Antworten
danach, so daß man das Buch wirklich von vorne nach hinten lesen
sollte.
Das Rinder-Tabu z.B. ist nach Harris für die Inder überlebenswichtig,
denn, so weist er es einleuchtend nach, ihr Schlachten würde vielleicht
kurzfristig den ersten Hunger stillen, aber mittelfristig das ökologische
Gleichgewicht in Indien derart ins Wanken bringen, so daß eine Katastrophe
unausweichlich wäre. Nicht nur in diesem Zusammenhang belegt Harris
auch recht eindrucksvoll wie irrational wir selbst uns im zivilisierten
Westen verhalten, wenn z.B. dreiviertel der Anbauflächen nicht der
Versorgung der Menschen, sondern der Tierfütterung dienen - inklusive
der "notwendigen" Überdüngung und anderer ökologischer
Zeitbomben.
Zu seinen Äußerungen über den "Friedensfürsten
Jesus" sei hierbei nur soviel angemerkt, als das, was jetzt in Büchern
wie VERSCHLUßSACHE JESUS u.ä. zum Vorschein gelangt, für
den in Zusammenhängen denkenden Menschen längst nicht so überraschend
ist - vieles, was Eisenman & Co jetzt belegen können, hatte sich
u.a. auch Harris schon vor 20 Jahren "denken können".
In FAULER ZAUBER wird nicht der skurrile Zeitvertreib eines Sonderlings
dokumentiert, sondern das Buch belegt u.a. die Annahme, "daß wir
durch Entmystifizierung unseres Alltagsbewußtseins die Aussichten
auf Frieden und auf ökonomische und politische Gerechtigkeit verbessern
können."
Und ferner ist es "ein Gebot der Moral, das Prinzip wissenschaftlicher
Objektivität auf die Rätselfragen auszudehnen, mit denen uns
die menschlichen Lebensweisen konfrontieren. Immerhin ist das einzige Methode,
die noch nie ausprobiert wurde."
Aktueller denn je, sollte dieses Buch endlich flächendeckende
Verbreitung finden!