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Manchmal kann man als Rezensent auch überraschende Entdeckungen
machen. So in einem Verlag, der sich in der Hauptsache mit Werken von Autoren
aus der ehemaligen DDR (darunter Hermann Kant) speist. In seiner Bücherreihe
"Die Sisyphosse" wurde nun aber auch ein Buch von Gerhart Hauptmann
neu aufgelegt, auf dessen Manuskript dieser einst hoch geschätzte,
dann vor Hitler in die Knie gehende Autor 1918 geschrieben hatte: "Verbrennt
es, aber gedacht mußt ich's einmal haben."
"Zur Charakteristik Jehovas" verfaßte G.H. 103 Glossen, die Textstellen
des Alten Testaments hinterfragen. Das Erstaunliche und für mich Neue
daran ist, daß und wie heftig sich G.H. mit diesem Glaubenszeugnis
auseinandergesetzt hat. In diesen Glossen kämpft einer mit den sattsam
bekannten, scheinbar nicht aufzulösenden Widersprüchen, die das
Bild des Einen Gottes ergeben sollen. Manches klingt hier trotzig pubertär,
ja geradezu naiv an, aber alle Glossen, seien sie im Tonfall noch so sarkastisch
oder gar zynisch, sind stets unterlegt von einer durchscheinenden Verzweiflung,
die um ein Verständnis für diese fehlerhafte Schöpfung,
insbesondere diese fehlerhafte Menschheit ringt.
Beides, die Textsammlung an sich, aber auch der Anhang mit der Kommentierung
u.a. des zeitlichen Kontextes ihrer Veröffentlichungsgeschichte durch
H.D. Tschörner sind ein spannendes, aufregendes, im besten Sinne anstößiges
Zeugnis der Wechselwirkung von Glauben und Literatur, Literatur und Glauben.