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Daniela Hermes hat den Briefwechsel zwischen der US-amerikanischen Verlegerin Helen Wolff und Günter Grass herausgegeben. Eine editorische Glanzleistung, die jedem Literaturliebhaber das Herz höher schlagen lässt.
Den Hauptteil bilden auf den ersten 403 Seiten die Briefe aus den Jahren 1959 bis 1994, wobei erst ab 1963 die mit "Helen" unterzeichneten Briefe einsetzen. (Bis zu seinem Unfalltod Ende 1963 war Kurt Wolff der Hauptansprechpartner von Günter Grass gewesen, wiewohl schon bald seine Frau Helen stets mitgegrüßt und mitbedacht wurde.)
Nicht von ungefähr umfasst die erste Hälfte den intensiveren Briefverkehr von 15 Jahren, die zweite den etwas geringeren, keineswegs weniger interessanten von 20 Jahren. Die häufiger werdenden gegenseitigen Besuche bei beidseitig immer größerer Beanspruchung bedingen Auslassungen, die von vorneherein mit zu berücksichtigen sind. Zudem ist dieser Briefwechsel keineswegs der einzige, den die Wolffs und Grass führten.
Dies alles eingedenk ist der Umfang dieses Konvoluts dennoch erstaunlich, wo doch spätestens ab den 80ern das Telefon dem Briefeschreiben nahezu den Garaus bereitet zu haben schien.
Das Verhältnis zwischen den Wolffs und Günter Grass war natürlich zuvörderst das eines Verlegers bzw. einer Verlegerin und einem Autor. Aber am Ende des letzten Briefs von Helen Wolff meint man sich auch wie von liebgewordenen Protagonisten eines Romans verabschieden zu müssen. Neben den Entscheidungen über das jeweils gerade zu veröffentlichende Buch hinterlassen auf der einen Seite der unverhoffte Tod des Ehepartners genauso Spuren wie auf der anderen Trennungen und neue Ehen. Beide berichten immer wieder gern in pointierten Einsprengseln über ihre Kinder, alsbald Enkelkinder und deren Weiterentwicklung. Diese Wehmut am Ende des Buches kommt aber vielleicht auch deshalb auf, weil die Warte dieser Schreibenden paradoxerweise der Welt sehr nah und zugleich dem normalen Erleben - insbesondere für normalsterbliche Autoren - auf fabelhafte Weise entrückt zu sein scheint.
Helen Wolff meldet sich in 231 Briefen zu Wort, fast doppelt so oft wie Günter Grass. 21 Jahre vor ihm geboren, zeichnen ihre Briefe von Beginn an eine einzigartige Souveränität umgänglicher Behutsamkeit aus. Nirgends ein striktes Nein, selbst im Austausch über andere, wie z.B. den offenbar nicht immer Contenance wahrenden Uwe Johnson, wird kein böses Wort schriftlich festgehalten. Eine Musenmutter mit nie versagender Liebe zum Subjekt ihrer Förderung, stets verständnisvoll kleinste Hinweise und Ideen aufnehmend, in ihren Bitten um Unterstützung verlegerischer Interessen selten drängend und niemals fordernd. (Übrigens auch gegenüber Uwe Johnson, den Günter Grass einst bei ihr einführte und trotz aller Kritik bis zu seinem Tod unterstützte.) Einzig die Sicht auf Politisches wie die US-amerikanischen Vorgehensweisen gegenüber dem Rest der Welt wird hin und wieder zum milde verteidigten Reibungspunkt. Wem das nun allzu harmlos erscheinen mag, darf das Wie ihrer Darlegungen nicht unterschätzen: Anspielungs- und zitatenreich schreibt sie formvollendete Briefe, mit einem Charme, wie er nur einem bis zuletzt trainierten "hohen Geist" eigentümlich ist, der mit den weltweit wichtigsten Autoren des 20. Jahrhunderts zu kommunizieren gewohnt war. Und sie war bei alledem Geschäftsfrau, d.h. wenn sie über die Akzeptanz vom Werk des Günter Grass schreibt, hat das nichts mit Schwärmerei zu tun, sondern es belegt eine Anerkennung, von der Günter Grass im deutschsprachigen Raum nach wie vor nur träumen kann.
Und so faszinierend es ist, Helen Wolff auf diese Weise kennen zu lernen, steht bei alledem doch Günter Grass im Mittelpunkt des Interesses.
Seine Briefe zeigen eine Entwicklung auf, die seinen geschätzten wie kritisierten Ecken und Kanten Rechnung trägt. Herzlich zugetan war er den Wolffs von Anfang an, aber anfangs muss hin und wieder noch ein Nein zu einer vorgeschlagenen Lesetour oder gar zu einem werbewirksamen Doktorhut den ihm gegenüber bekundeten Respekt erproben und er den Brief zudem mit dem Hinweis auf eine Reisekostenerstattung schließen lassen. Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte verliert sich das, hat er sich offenbar vergewissert, dass hier im Gegensatz zu deutschen Krähwinkeleien seinem eigenen Sinn für Großzügigkeit und Gerechtigkeit ganz selbstverständlich entsprochen wurde und er zudem auf eine verständige Zuhörerin vertrauen durfte, deren Empathie für ihn und sein Werk von geradezu traumhafter Kongenialität war.
Nachgeborene und vom hiesigen Feuilletongewitter um Günter Grass unbeleckte Leser können so auch aus erster Hand von den Anstößen zu seinen Werken erfahren, z.B. auch welch privates Drama der Arbeit am Butt vorausging und es begleitete. Oder was ihn von der Schreib- zur Zeichenfeder (oder/und zur Plastik) und zurück antrieb. Und auch von seinen darüber hinausgehenden Ambitionen: Sei es die gewerkschaftliche Arbeit für die Schriftstellerkollegen oder auch seine Positionierung für die SPD und hier wiederum eigens für Willy Brandt.
Eine seiner größten Stärken, die Gabe zur Freundschaft und zur solidarischen Hilfsbereitschaft wurde im eigenen Land oft unterschätzt und zuweilen sogar mit Häme beantwortet. Wie auch der daraus abgeleitete Aufwand, sich in die Fragen der Zeit stets so originell wie unbequem einzumischen. Sein Darunterleiden wird nachspürbar, auch wenn man ihm zuweilen zurufen möchte: Allein eine Ansprechpartnerin wie Helen Wolff gefunden zu haben, müsste doch gelassener und zufriedener machen - ganz abgesehen von der andauernd millionenfachen Bestätigung durch in- wie ausländische Leser. Und keinen Widerspruch mehr zu finden, selbst wenn er nur kleinkariert daherkommt, hieße zwar als Großschriftstellerfürst ins Lexikon eingegangen aber auch tot zu sein. Und dass Günter Grass noch in diversen Lexika nachzulesen sein wird, wenn andere längst vergessen sind, dürften selbst die größten Kritikaster nicht bestreiten. Denn auch sie werden insgeheim stolz auf "unseren" Grass sein, der in den USA nicht zuletzt dank Helen Wolff soviel Anerkennung und Respekt bezeugt bekommen hat. Und vielleicht gestehen sie sich dann auch ebenso insgeheim ein, dass die Fähigkeit zum Widersprechen hierzulande insbesondere durch einen wie Günter Grass nicht unwesentlich befördert wurde.
Schließlich sei noch auf den voluminösen Anhang dieses Buches hingewiesen. Er setzt mit Photos ein, die u.a. auch Originalbriefe und Manuskriptseiten abbilden. Ihnen folgen die Rede "Wahlverwandtschaften" von Helen Wolff sowie von Günter Grass der "Nachruf auf Helen Wolff" anlässlich der posthumen Verleihung des Friedrich-Gundolf-Preises, danach ein präziser "Editorischer Bericht" der Herausgeberin, auf mehr als 100 Seiten instruktive wie hilfreiche Kommentare zu den Briefen, Zeittafeln zu Kurt Wolff / Helen Wolff und Günter Grass und ganz am Ende natürlich auch noch ein Personenregister. Das alles in bewährter Steidl-Ausstattung in Leinenbindung plus Lesebändchen.
Weitere Besprechungen zu Werken von Günter Grass und Sekundärliteratur dazu siehe:
Büchernachlese-Extra: Günter Grass