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Der reichste Mann Amerikas, der Mafia-Pate Nino Pepperoni hat eine Tochter, die sich zu Tode langweilt - bis sie in Moskau auf den Dissidenten Sergej Mandelbaum trifft. Mit ihm erfährt sie zum ersten Mal, was es heißt, einen Orgasmus zu erleben. Und schwanger zu werden. Doch die Reisefreiheit eines Sowjetbürgers, noch dazu eines Wissenschaftlers und Geheimnisträgers wie Sergej ist gleich Null. Pepperoni lässt deshalb Karl Schnitzel, den besten Menschenschmuggler engagieren, um Mandelbaum in den Westen zu schaffen. Schnitzel ist zwar ein homosexuell orientierter Lustmörder, aber auch dafür findet Mr. Sliwowitz, der Rechtsanwalt und Consigliere des Paten, wie immer eine so einfache wie nachhaltige Lösung. Doch als Mandelbaum kurz vor der ungarisch-österreichischen Grenze wieder zurück nach Moskau will, muss selbst Mr. Sliwowitz erst einmal Luft holen ...
Bereits 1972 in den USA fertig gestellt, erschien diese Farce von Edgar Hilsenrath erst 1979 in einem deutschen Verlag unter dem Titel "Gib acht, Genosse Mandelbaum" und 1992 schließlich unter dem Originaltitel "Moskauer Orgasmus". Angeregt von Otto Preminger, sich anstelle von Shoa und Nazibarbarei mit aktuellen Themen zu befassen, und auch in der Hoffnung, dass dieser wie er emigrierte Schauspieler, Regisseur und Filmproduzent sein Werk auf die Leinwand bringen könnte, legte Hilsenrath nun einen Roman vor, der gerade wegen seiner luziden Leichtigkeit alle damaligen Konventionen sprengte. Preminger meinte aber dann, den Film nicht finanzieren zu können - vermutlich haben er wie dann auch der US-Verlag Hilsenraths aber vor allem die öffentliche Meinung und Moral nicht brüskieren wollen. Ausführlicheres dazu ist dem auch diesem Band der Werkausgabe wie immer angefügten Nachwort des Herausgebers zu entnehmen.
"Moskauer Orgasmus" dagegen hat so gut wie gar keine Patina angesetzt, der "Kalte Krieg" zwischen Ost und West ist immer noch präsent genug, um die zugespitzten Wesensmerkmale beider Systeme schnell zu erfassen: Dort die Verengung durch eine Diktatur, hier durch die "organisierten" Mechanismen des Kapitals. Dazwischen der Vater-Tochter-Konflikt im Gewande einer seinerzeit hochaktuellen Parodie auf den "Paten". Von "politischer Korrektheit" noch ungebremst, werden zudem die aufkeimenden Emanzipations- und Feminismusdebatten aufs Korn genommen und last, but not least die Debatten über "erfüllte" Sexualität.
Den Begriff "Orgasmus" in den Titel aufnehmen zu wollen, war Anfang der 70er höchstens Sachbüchern oder Pornos vorbehalten, Homosexualität als eine der sexuellen Ausrichtungen ganz selbstverständlich ein- und detailliert auszuführen und dann auch gleich wieder auf die Schippe zu nehmen, des Guten aber längst zuviel. Weitere "rote Tücher" dürften außerdem Hilsenraths Verballhornungen christlich-jüdischen Traditionsbewusstseins und internationaler Politikinteressen gewesen sein, die auch vor Israel nicht Halt machten. Alles zusammen in Dialektik und Tonfall, die an Schwejk erinnert, liest sich das heute noch als eine saukomische Geschichte, die einen immer wieder auflachen lässt.
Spätestens dieses für ihn dem Thema und Sujet nach außergewöhnliche Intermezzo beweist sehr eindrücklich, dass Hilsenrath keineswegs "nur" aus autobiographischen Bezügen zu zehren weiß. Seine Komposition, seine Dialoge, nicht zuletzt einmal mehr seine allparteiliche Haltung dem Stoff und dem Allzumenschlichen seiner Figuren gegenüber zeichnen ihn - wie in nahezu all seinen Werken! - als einen der klarsichtigsten deutschsprachigen Schriftsteller seiner Generation aus, dessen Witz und Sprachfertigkeit einzigartig und noch längst nicht genug gewürdigt worden ist.
Bleibt hier nur noch der Hinweis auf den demnächst erscheinenden letzten Band der Werkausgabe, der die kürzeren Erzählungen von Edgar Hilsenrath versammelt - und wer auch die anderen Bände noch nicht kennt, sollte sich was wirklich Gutes gönnen und deren Lektüre schleunigst nachholen.
Weitere Besprechungen zu Edgar Hilsenrath sowie Gesamtliste der Werkausgabe siehe:
Büchernachlese-Extra: Edgar Hilsenrath