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Den meisten Autoren ist nur das eine oder das andere gegeben: Episch breit zu erzählen oder etwas in Kurzprosa auf den Punkt zu bringen. Edgar Hilsenrath hat beides auf höchstem Niveau dargeboten.
Allein vier der zehn Bände umfassenden und nun nach und nach neu vorgelegten Gesammelten Werke von Edgar Hilsenrath sind längst anerkannte Weltliteratur, und was ihre epische Breite, Dichte und das "Pikareske" angeht, mindestens auf Augenhöhe mit einem gewissen Blechtrommler. Nacht (Bd.1), Der Nazi & der Friseur (Bd.2), Das Märchen vom letzten Gedanken (Bd. 6) und Jossel Wassermanns Heimkehr (Bd. 7) wären demnach allein schon vier Gründe für den längst fälligen Nobelpreis ...
"Zibulsky oder Antenne im Bauch" versammelt nun als Band 5 der Gesammelten Werke jene Satiren, die Hilsenrath zwischen 1979 und 1981 geschrieben und veröffentlicht hat.
Zumeist von nur wenigen erläuternden Absätzen untermalt, findet sich der Leser gleich mitten in dem Hin und Her eines atemberaubenden Dialogs, der die Grenzen zwischen Vernunft und Irrsinn auslotet. Sofern Hilsenrath seinen Protagonisten überhaupt einen Namen gibt, heißen sie "Zibulsky". Nicht selten sind es dann gleich zwei, die so heißen und sich mit diametral gegenüberstehenden Positionen gegenüberstehen. Neben dem vordergründigen Slapstick-Effekt bewirkt das beim Leser eine haarsträubende Offenlegung nur allzu leicht austauschbarer Meinungen und Haltungen. Das verleiht den zwischen einer und 25 Seiten langen Geschichten einen tragikomischen Grundton, der bis zum heutigen Tag keine Patina angesetzt hat. Selbst die Texte mit DDR-Bezug holen einen noch ein, sei es als Erinnerungsmoment oder weil die Parallelen zu heute so unübersehbar sind. Wie auch die Bezüge zum insgeheim oder gar nicht mehr insgeheim wiederaufschäumenden, dumpfbraunen Nazitum. Aber es geht in den Texten nicht zuletzt auch um das, was Hilsenrath von den Menschen versteht. Menschen, die einsam sind und sich nach Liebe und Anerkennung sehnen, Menschen, die ängstlich und verklemmt sind, und ihre inneren Grenzen nur allzu gern überwinden würden. Exemplarisch sei hier auf die an Fassbinders "Angst essen Seele" gemahnende Geschichte von "Der Gastarbeiter und die deutsche Frau" hingewiesen, die dem Thema Einsamkeit bodenlose Skurrilität abgewinnt und das Lachen im Halse abwürgt.
Mit dieser Art Menschenverständnis lassen die Satiren Hilsenraths jede vordergründige Moralinsäuernis weit hinter sich, setzen weniger Ausrufe-, denn nachdenklich stimmende Fragezeichen und führen dennoch zu einem Lachen ... über sich selbst.
Weitere Besprechungen zu Edgar Hilsenrath sowie Gesamtliste der Werkausgabe siehe:
Büchernachlese-Extra: Edgar Hilsenrath