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Merlin Holland (Hrsg.)

Oscar Wilde - Ein Leben in Briefen

Aus dem Englischen von Henning Thies. Blessing Verlag, München 2005. 608 Seiten. 24,00 Euro. ISBN: 3-89667-279-7, >>> Amazon
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Ein Leben in Briefen? Für Merlin Holland sind die Briefe seines Großvaters Oscar Wilde "de facto" jene Autobiographie, die der skandalumwitterte Autor (u.a. "Das Bildnis des Dorian Gray") niemals verfasst hatte. Sie kommentieren sein Leben und Werk, angefangen bei den frühen Studienfreundschaften über die Zeit als "Professor für Ästhetik" auf einjähriger Vorlesungstour in den USA bis hin zu seinen Erfolgen in den frühen 1890er Jahren, denen ab 1895 der soziale Abstieg ins Gefängnis und die nur noch kurze Zeit danach bis zu seinem Lebensende folgten.
Nach der im Jahr 2000 herausgegebenen kommentierten Ausgabe aller 1562 Briefe Oscar Wildes, die insbesondere auf ein Fachpublikum zielte, hat Merlin Holland nun eine Auswahl von 400 Briefen vorgenommen, die nur mit einem "absoluten Minimum an editorischer Intervention", d.h. nur wenigen erklärenden Zwischenkommentaren unter Verzicht jeglicher Fußnote, nun bei einem breiteren Lesepublikum Interesse finden soll.
Was die äußere Form angeht, ist das dem Herausgeber sehr zufriedenstellend gelungen. Die Briefe werden eingerahmt von einer instruktiven Einleitung, einem chronologischem Überblick und am Ende von Literaturhinweisen, einem Verzeichnis der Briefempfänger und einem Register der darüber hinaus erwähnten Personen und Orte.
Wer jedoch über die Lektüre des Dorian Gray und vielleicht auch noch die Betrachtung solcher Verfilmungen wie "Das Gespenst von Canterville" - vorzugsweise mit Charles Laughton in der Hauptrolle - nur wenig von den angelsächsischen und französischen Adressaten dieser Briefe weiß, hat ein Problem. So manchen dieser Namen von Autoren und kunstbeflissenen Angehörigen der britischen High Society hat man wohl schon gehört, aber das hilft nur wenig bei der Ein- und Zuordnung dieser Briefe. Man ist letztlich immer nur mit der einen Hälfte eines Dialogs konfrontiert und kann sich nach Belieben die andere Hälfte dazu denken - und da Oscar Wilde sehr auf die äußere Form bedacht war, womöglich hauptsächlich auf die äußere Form, dann bleiben Zweifel an vielen seiner Aussagen angebracht.
Ist dieses Buch deshalb abzulehnen? Nein, keinesfalls.
Bereits der jugendliche Oscar Wilde fasziniert wegen seiner erstaunlichen Auffassungsgabe und der Fähigkeit zur pointierten Beschreibung von Personen und Orten. Und auch ein im Brief überliefertes Essay über die Damenmode ist geradezu zukunftsweisend - überhaupt überall da, wo er sich ausführlicher auf ein philosophisches bzw. ästhetisches Thema einlässt, wird der Charme seines doppelbödigen Aberwitzes sichtbar. Die größte Zugkraft entwickeln jedoch seine Briefe der letzten 5 Jahre. Hier spiegelt er die borniert bigotte Moral seiner ihn zuvor feiernden Umwelt aber auch eine zumindest zeitweilige Veränderung seiner eigenen Sicht auf das, was für ihn Lebens bestimmend zu sein hätte - gepaart von einer großen Bitternis über die Notwendigkeit, Bettelbriefe zu schreiben, die ihm sein Mindestmaß an Lebensstandard ermöglichen helfen sollten.
Nein, sympathischer wird einem Oscar Wilde in diesen Briefen nicht unbedingt, auch wenn man aus heutiger Sicht die Verurteilung seiner am Ende offen gelebten Homosexualität nur als schändlich verwerfen kann. Der Anglo-Ire, der mit den irischen Nationalisten sympathisierte, der Protestant der zeitlebens das Katholische lobte, der Ehemann, der seinen homosexuellen Neigungen nachging, liefert ein verwirrendes Selbstbild - dennoch ist diese Fontane'sche Grille immer wieder auf Gegenliebe gestoßen und sollte mit seiner unverwechselbaren Eigenheit auch heute noch Interesse finden.

Buechernachlese © Ulrich Karger


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