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Die Steigerung von Leseratte und Buchliebhaber ist DER BUCHTRINKER.
Johann Georg Tinius, geb. 1764, war nicht nur bibliophil sondern ein Bibliomane.
Er mußte tausende von Büchern "haben", beriechen und erlesen,
bishin zum Auswendiglernen der Zeilen und ihrer Zwischenräume. Diese
Art von Inbesitznahme war natürlich sehr kostspielig, finanziell wie
ideell. Aber auch wenn er zweimal heiratete, um mit dem Ererbten seiner
Frauen die drückendsten Schulden bei den Buchhändlern zu bezahlen,
reichte es nicht. Ein Indizienprozeß weist ihn schließlich
als mehrfachen Raubmörder aus. Tinius war aber nicht nur Leser, sondern
auch Verfasser einiger Bücher, die sich mit dem bald zu erwartenden
Weltuntergang auseinandersetzten. Falk Reinhold, ein heutiger Büchernarr,
phantasiert sich derart in die zwanghafte Welt des Tinius hinein, so daß
schließlich auch sein Leben aus den Fugen gerät. Tinius' Prophezeiung
ist an ihn persönlich gerichtet. Ein Blick in die Zeitungen bestätigt
es: Die zivilisierte Welt ist am Untergehen.
Nach einem Vorwort wechseln sich die Lebensgeschichte des Tinius mit
der des Reinhold ab, und werden insgesamt neunmal von Zitat-"Teppichen"
gleich Zwischenspielen unterbrochen, in denen das bisher Erzählte
u.a. von Plato, Lichtenberg und Wittgenstein bezeugt bzw. kommentiert wird.
Klaas Huizing hat ein elitäres Buch verfaßt, daran gibt
es nichts zu deuteln. Einem Zweitbuchbesitzer würde es vermutlich
nur zum dritten Staubfänger im Regal. Diese zwei Romane und neun Teppiche
sind eigentlich ein großes Essay über das Lesen und Gelesenwerden.
Aber im Gegensatz zu dem darin ebenfalls zitierten Peter Handke ist es
wirklich geistreich, und der Autor versprüht seinen Esprit unter hoher
Dosierung von in diesen dünnen Luftsphären selten nachzuweisenden
Teilen an Selbstironie. Vermutlich selbst zumindest in dem Vorstadium eines
"Buchtrinkers" hat er noch genügend Distanz zu der Welt zwischen
zwei Buchdeckeln, um der eigentlichen Welt die Priorität zu geben.
Bleibt noch anzumerken, daß den Schutzumschlag ein leicht modifiziertes
allegorisches Gemälde aus dem 18.Jahrhundert ziert, dem kaum ein Bibliophiler
zu widerstehen vermag. Kaufen, haben, riechen, lesen ...
Interview und weitere Besprechungen zu Werken von Klaas Huizing siehe:
Textenetz: Klaas Huizing