www.buechernachlese.de
|
Paul Schreber (1842 - 1911) litt in seiner Kindheit sehr unter dem übermächtigen älteren Bruder Gustav, vor allem aber unter der Ägide seines berühmten Vaters Moritz Schreber. Der Begründer der Krankengymnastik und Erfinder des "Schrebergartens" als gesundheitsförderndes Refugium testete nämlich zuerst an der eigenen Familie all seine Methoden körperlicher Ertüchtigung, wie z.B. auch den "Geradhalter". Mit dieser Vorrichtung wurden die Kinder stundenlang an den Tisch gebunden, um ihnen eine gerade Haltung aufzuzwingen, was sich wiederum auch auf deren Geist und Seele stärkend auswirken sollte.
Doch keines der Kinder trat in die Fußstapfen des Vaters. So wird Gustav erst Chemiker, dann Jurist und begeht Selbstmord, Paul studiert von Anfang an Jura und macht eine große Karriere, doch am Ende wird er entmündigt und zu einem berühmten "Fall", der mehrere Psychiater "verschleißen" sollte. Seine in einer psychiatrischen Anstalt verfassten "Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken" werden sogar "weltberühmt" und gelten als einmaliges Zeugnis aus der Innenwelt eines "Verrückten".
Klaas Huizing taucht mit "In Schrebers Garten" einmal mehr in die Erlebniswelt eines Menschen aus dem vorvorigen Jahrhundert ein. Und erneut reibt sich sein Protagonist an einem übermächtigen Vorbild - um sich ihm dann jedoch auf spektakuläre Weise zu entziehen. Paul Schrebers "Verrücken", sein schon als Kind geübtes Ausweichen, sich Entziehen und Unsichtbarmachen, erlauben ihm durchaus befriedigende Phasen des Glücks - schützen ihn aber keineswegs vor großen Ängsten und jenen Obsessionen, die ihn dann bis zuletzt gefangen halten.
Klaas Huizing hat nun aus dieser Lebensgeschichte einen Roman gefertigt, der von der ersten bis zur letzten Seite begeistert. Von Anfang an findet er den "richtigen" Ton, der einerseits den Sprachgebrauch der damaligen Zeit einfängt und ihn zugleich mit heutigen Ein- und Ansichten aufs Köstlichste, weil subtil und unaufdringlich, korrespondieren lässt.
Wiewohl durch die Ortsangaben in den Kapitelüberschriften kenntlich gemacht, sind die Übergänge von einer mehr auf Außerperspektive bedachten Schilderung der Kindheit zu der Innenperspektive des Anstaltsinsassen fließend. Zugleich hat der Autor einen "goldenen Schnitt" für eine in sich ausgewogene Komposition gefunden - keine Seite zuviel oder zuwenig. Sie erlaubt dem Leser eine sehr gut ausbalancierte Nah-Distanz zum Protagonisten, die zwischen Mitleid über das Zwanghafte seiner Obsessionen und Neid über seine anarchisch ausgelebten Freiheiten des Verrücktseins zu pendeln vermag.
Dieser durchweg melodische Gesang schlägt Funken, die ein zu keiner Zeit langweilendes Gemenge aus situationskomischen Pointen, genialischen Betrachtungen und anrührenden Szenen erhellen. Das "Verrückte" wird so nicht zum "Normalen", findet hier aber eine Stimme, die nichts "wegwundern" muss, sondern den Menschen dahinter als einen von uns wieder näher rückt. Niemand, vor dem man Angst haben muss, sondern jemand, dessen innere Logik fasziniert und Anteilnahme weckt.
Huizing hat als Romancier bislang stets zu überzeugen, sich nun aber noch einmal zu steigern gewusst. Gratulation!
Interview und weitere Besprechungen zu Werken von Klaas Huizing siehe:
Textenetz: Klaas Huizing