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Nachdem der japanische Erzähler Yasushi Inoue im Frühjahr
'95 posthum mit seinem Roman "Der Sturm" Furore gemacht hat, legt Suhrkamp
jetzt noch die ausgezeichnete Übersetzung (Richmod Bolliger) von SHIROBAMBA
vor.
Shirobamba heißen Insekten, die wie Watteflocken in der Abenddämmerung
zu tanzen beginnen, erst weiß, dann mit einem Stich ins Bläuliche.
Jetzt wird es für die spielenden Kinder Zeit, nach Hause zu gehen.
Der 8-jährige Kosaku wartet stets, bis er der Letzte ist. Er wohnt
nicht bei seinen leiblichen Eltern, auch nicht bei seinen nächsten
Anverwandten im Oberhaus, sondern im Lagerhaus, allein mit einer alten
Frau, die er Großmutter nennt, obwohl sie nicht mit ihm verwandt
ist. Das Jahr 1915 ist für Kosaku voller Aufregungen. Der Tod seiner
leiblichen Großmutter, die Schwangerschaft seiner Tante und die erste
Reise mit Kutsche, Bimmelbahn und der "großen" Eisenbahn weiten
ihm den Horizont. Obwohl ihn die Reise zu seinen leiblichen Eltern führt,
sehnt er sich schon bald wieder nach der ihm vertrauten dörflichen
Überschaubarkeit.
Yasushi Inoue malte seine eigene Kindheitsgeschichte nicht mit dem
goldenen Pinsel. Vor den Augen der Leserschaft entsteht eine Welt, die
von Autoritäten und ordnungsstiftenden Regeln geprägt ist. So
kämen die Eltern, insbesondere die Mutter nach heutigen westlichen
Maßstäben nicht gut weg. Aber jede Ordnung hat ihre Nischen,
in denen sich der Eigenwille ausprobieren kann. Das Aufregende an diesem
Roman ist neben dem Blick auf eine uns fremde Gesellschaft die brillante
und konsequente Sprachregelung des Autoren. Er hält stets die Perspektive
des Kindes ein. Wenn dann der erwachsene Leser schmunzelt oder erschüttert
ist, steht dieses Spektrum an Gefühlen paradoxerweise oft gegenläufig
zur beschriebenen Gefühlswelt des Kindes. Unsentimental und bittersüß
ist dieses Denkmal an die Kindheit, das einen von der ersten Seite an gefangen
nimmt.