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Hans Jonas, dessen Untersuchungen zur philosophischen Anthropologie
seit Jahrzehnten der weltanschaulichen Diskussion international wesentliche
Impulse gegeben hatten, zog in den letzten Monaten vor seinem Tod Zwischenbillanz
- zu entgültigerem würde sich ein Denkender, insbesondere ein
Philosophierender seines Ranges nie verstiegen haben.
In PHILOSOPHISCHE UNTERSUCHUNGEN UND METAPHYSISCHE VERMUTUNGEN legte
er also eine repräsentative Sammlung seiner Abhandlungen vor, die
bisher nur verstreut in verschiedenen Kompendien nachzulesen waren. Nicht
nur dank seiner Überarbeitung lesen sich die Texte, als seien sie
von vorneherein für ein Ganzes komponiert worden. Die Vielfältigkeit
der verschiedenen Ansätze von Hans Jonas waren offenkundig nie voneinander
losgelöst, und sie entwickeln vor den Lesern ein Gedankengebäude,
das insbesondere durch seine Transparenz zu wirken vermag. Als fast 90-jähriger
keineswegs altersstarrsinnig, deckte er in seinen Schlußfolgerungen
schonungslos seine eigenen (wenigen) Schwachstellen auf. Das verlangt einen
subtilen Sinn für Humor, der nur wenigen dieser Geisteszunft zu eigen
ist. Genauso selten war die Begabung von Hans Jonas, trotz des unvermeidlichen
Fachvokabulars eine auch dem interessierten Laien vermittelnde Sprache
zu sprechen. Wenn man dann doch manche Seite das zweite oder dritte Mal
liest, dann wegen der dichten Stringenz ihrer Argumente, die man mit Genuß
noch einmal nachvollziehen will. Denn Hans Jonas saß offenbar nie
im Elfenbeinturm, sondern fragte nach der direkten, sinnvollen Umsetzbarkeit
seiner Philosophien. Zugleich scheute er auch nicht vor Fragen und Vermutungen
zurück, die, weil tatsächlich unbeantwortbar, von anderen Philosophen
nicht mehr angegangen werden. Daß und wie eine solche Auseinandersetzung
auch ohne endgültige Lösungen seinen Wert haben kann, verstand
Jonas treffend nachzuweisen. Es bedurfte dazu allerdings seiner klaren
Sprachregelung sowie seiner profunden Sachkenntnis, die eben auch durchaus
in der Lage war, in sich bündige Systeme zu entwickeln.
Die Aufsätze dieses Buches lassen den Leser drei große Schritte
nachvollziehen.
Im ersten Kapitel legt er mit seinen Theorien über den "Organismus
und Sonderart des Menschen" seinen anthropologischen Ausgangspunkt
fest. Seine Überschriften verweisen schon zu Beginn auf die Spannungsbögen
seiner Untersuchungen: Evolution und Freiheit; Werkzeug, Bild und Grab
- Vom Transanimalischen des Menschen; Wandel und Bestand - Vom Grunde der
Verstehbarkeit des Geschichtlichen; Last und Segen der Sterblichkeit.
Das zweite, also zentrale Kapitel drängt in die oben erwähnte
Pragmatik. Fesselnd schildert Jonas die Folgen der Entdeckungen und Anstöße
durch Kopernikus und Giordano Bruno, den Drewermann sich in einem seiner
letzten Bücher zum alter ego erkoren hat, bishin zu Newton, um schließlich
den Nachweis zu führen, daß die Naturwissenschaften mit ihrem
"objektiven Determinismus", wonach nur die "Kraft von hinten"
alles antreibt, sich in eine argumentative Sackgasse manövriert hat.
In ihr ist "kein Zug der Zukunft, nur der Stoß der Vergangenheit".
Transzendente, außerweltliche Ursache würde von ihr ebenso ausgeschlossen
wie eine innerweltliche mentale Kausalität, wiewohl letztere offenkundig
jeder subjektiv erfahren kann. Von diesen Überlegungen ist es dann
für Jonas nur noch ein kleiner Schritt gewesen, eine "ontologische
Grundlegung einer Zukunftsethik" zu entwickeln. Wohlgemerkt, nicht
Ethik der Zukunft, sondern für die Zukunft. In ihr kann nun jeder
vernunftbegabte, umweltbewußte Mensch nachlesen, was er bisher nur
"irgendwie" erahnte, aber so nicht zu formulieren und auf einen
tragfähigen, generellen Nenner zu bringen vermochte. Der dritte Abschnitt
dieses Kapitels diskutiert diese Ethik anhand einer konkret gewordenen
Problemstellung, den neuesten Fortpflanzungstechniken, wie man weiß,
einem Teilbereich der Genforschung.
Das letzte Kapitel wird von philosophischen Spezialisten, sprich Fachidioten,
sicher heftig angegriffen oder noch schlimmer, einfach nicht ernstgenommen
werden. Andererseits werden auch einige Theologen "ins Schwitzen geraten",
denn die drei Beiträge zur Auseinandersetzung der letzten Dinge, ein
"Nachtrag zu den Gottesbeweisen", dem "Gottesbegriff nach Auschwitz"
sowie seinem "kosmologischen Befund und kosmogonischer Vermutung"
führen u.a. konsequent und plausibel vor, daß Gott z.B. nicht
"allmächtig" sein kann. Dem gegenüber steht jedoch am
Ende einer anderen Argumentationskette: "Aber was für einen Sinn
können diese beiden Annahmen haben, wenn es nicht eine unabhängige
Existenzform der Wahrheit gibt, die unseren Vermutungen gegenübersteht
und sie im geheimen richtet, selbst wenn wir ihrer nie habhaft werden?"
Dieses Buch ist ein sokratischer Denkgenuß. Für Sokrates
war Philosophie ja weniger die festzuhaltende Lösung, als der Weg
dahin - eben das Philosophieren an sich. Ein Vermächtnis also, das
mehr als nur Kenntnisnahme verdient!
Das neueste, posthume Druckzeugnis belegt eine Rede von Hans Jonas, die am er 25.Mai 1992 unter der Überschrift PHILOSOPHIE. RÜCKSCHAU UND VORSCHAU AM ENDE DES JAHRHUNDERTS gehalten hatte. Sie setzt noch einmal am Ende des oben besprochenen Buches an und skizziert darin u.a. seine geistigen Lehrväter, um zuletzt erneut auf ein "ausgeglichenes Budget zwischen Mensch und Natur zu drängen."