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Walter Kempowskis Notizen zum nun abgeschlossenen 'Echolot'-Projekt sind mit 'Culpa' überschrieben. Ein Titel, der nur insofern für diese detailliert fesselnde Beschreibung eines "work in progress" einleuchtet, als das 'Echolot' den Schlussstein seines Lebenswerks als Schriftsteller bildet. Ein Lebenswerk, das dem Abtragen einer Schuld gegenüber der Familie, insbesondere der Mutter gewidmet, nein, geweiht ist.
In diesem Buch bezeugt Kempowski vor allem größte Selbstzweifel, immer wieder, über Sinn und Zweck dieses nun in 10 Buchziegeln manifestierten 'Echolots', auch wenn diese Zweifel zwischendurch, anderthalb Jahre vor Drucklegung des ersten Teils, in ein "Wie Moses an den Fels schlug, und es kam Wasser heraus, so habe ich die Stummen zum Reden gebracht" münden. Aber auch das ist nur ein kempowesk gigantomanes Zwischenhoch mit der Empfindlichkeit eines Soufflés. Es fällt schon bald darauf wieder in sich zusammen ...
Sein(e) Sichten für und um das 'Echolot', notiert vom 14.3.1978 bis zum 9.11.1993, hinterlässt das Bild eines manisch euphorisch Begeisterten, der andere mit seinen Ideen anzustecken und trotz seiner offenbar nicht seltenen cholerischen Wutanfälle bei der Stange zu halten weiß. Oft mit dem Blick auf ein halbleeres Glas, obwohl seiner ungeheuren Anstrengung ebenso ungeheure Unterstützung zubilligt wurde, von der andere Schriftsteller schon nicht einmal mehr träumen wollen. Aber Kempowski beweist durchaus Fähigkeit zur Selbstironie und Selbstkritik. Dafür sprechen u.a. die Ergänzung seiner Notizen durch die eingestreuten "Seitenhiebe" seiner Assistentin Simone Neteler und das Nachwort des in den Notizen heftig kritisierten Lektors Karl Heinz Bittel. Die Ansichten von und auf seine Familie sind dagegen spärlich vertreten.
Dem Einblick auf den genialischen Tunnelblick eines visionären Autors, dem sich alles andere, sogar die eigene Gesundheit unterzuordnen hat, werden aber nicht zuletzt auch die Schriftstellerkollegen Bewunderung zollen müssen: In den dokumentierten 15 Jahren x-tausend Textseiten von bekannten und insbesondere unbekannten Autoren gelesen, arrangiert und an der Leine gehalten, sie erfasst und in neue Verfassung gebracht zu haben, und dabei immer wieder mit der Frage konfrontiert: Für wen das Ganze? Wer soll und will das lesen? Wen interessiert das überhaupt?
"Das Echolot'43 wird erst durch das Gesamtvorhaben auf das richtige Maß zurückschrumpfen. - Texte streichen, das hieße: Menschen streichen."
Und dazu diese permanente Angst vor dem Nicht-Erkanntwerden seiner eigentlichen Ambitionen: "'Echolot' und 'Deutsche Chronik' müssen immer nebeneinander gesehen werden. [..] Ich möchte so gerne, daß das mal einer nachvollzieht. Es ist traurig, daß noch niemand sich dafür interessiert hat."
Oder an anderer Stelle: "Das 'Echolot' steht genau zwischen dem 24. und 25. Kapitel des 'Tadellösers'. Noch nie sei die Zukunft so dunkel gewesen, sagt die Mutter dort auf S. 280. Kurz davor wird das Gefängnis in der Schwaanschen Straße erwähnt.
Hier entspringt die Nabelschnur zum 'Echolot', sie endet am 24.2.1943, da, wo mein Bild von 1943 abgedruckt ist. Interessiert niemanden, aber so ist es."
Stellt sich dann und wann die Frage, ob seine Chronik aus eigenen Romanen und herausgegebenen Biographien samt Echolot wirklich nur die Welt um Walter Kempowski oder doch Walter Kempowski in der Welt spiegeln soll ...
Den Lesern des Echolots kann's egal sein, denn das spricht längst für sich selbst - in ungezählten Stimmen. Dabei an Yad Vashem denken, das die nach Millionen zählenden Namen ermordeter Juden bewahrt und immer wieder ins Gedächtnis ruft. Ecce homo - Namen, Stimmen.
Irritierend hierzu Kempowskis formale Überlegungen, diese einige Notizen illustrierenden Graphiken, die vertikale und horizontale Zeitachsen vermessen und deshalb wiederum an Kreuze denken lassen, die ich bei allem durch das 'Echolot' gewachsene Verständnis nicht mit meinen Vorfahren in Verbindung bringen will, diese Verbindung für unangemessen halte, sie als Herausforderung aber auch nicht länger beiseite wischen kann ...
Walter Kempowski sah sich von der links-liberalen Presse und Autorenschaft lange Zeit ins Abseits geschoben - teils zu Recht, größtenteils zu Unrecht. Als jedoch die meisten anderen "Großschriftsteller" den PC noch lange Zeit als werkfeindliches Tastengerät abtaten, erkannte Kempowski die Gunst der Stunde und gemahnt damit eigentümlich an das Zeitgefüge vom "richtigen Augenblick" bei Luther-Cranach-Gutenberg. Wertekonservativ, den einst "realen Sozialismus" stets verdammend, ein lautstarker Liebhaber der Werke von Ernst Jünger, jedwede Effekthascherei ablehnend und zugleich doch so gern mit (versteckt) pädagogischen Impetus auf Effekte zielend, den neueren Moden in Literatur und Musik mehr als skeptisch gegenüber stehend - für diesen Walter Kempowski war nun neben dem archaisch anmutenden Sammeln von Texten und Photographien bereits im Jahre 1988 das seinerzeit Modernste vom Modernen zum notwendigen Hilfsgerät geworden. Auch seine letztlich gewählte Begrenzung auf die Zeiträume in den vier Konvoluten ist eine einzigartige Chance gewesen und nicht wiederholbar. Dereinst die Gegenwart ähnlich einzufangen, wird keiner mehr versuchen wollen, denn so jemand müsste mit dem Internet und der Einsicht umgehen, dass die Anzahl der Kriegsschauplätze und anderer Katastrophen unübersichtlich und zugleich von "globalen" Interesse geworden sind und somit die Menschen aller fünf Erdteile ein Anrecht auf die Dokumentation ihrer Stimmen erheben könnten.
Das 'Echolot'erforderte so manchen Tribut, u.a. zwei Schlaganfälle erlitt Walter Kempowski in seiner Gestehungszeit, und auch sein Faktotum Simone Neteler überlegte zuweilen den Ausstieg aus dem Projekt, wenn sich der Autor wieder zu ungebärdig gab. All das nur, wie der von ihm mit "Interesse" zitierte Martin Ebel schreibt, weil Kempowski "die Welt seiner Eltern - lieber, aber etwas naiver Deutschnationaler - und seine eigene Kindheit nicht im Bausch und Bogen abgetan sehen will".
So manch ehemalige vom "realen Sozialismus" geprägte DDR-Bürger dürften das benicken und mit einigem Recht auch für sich selbst in Anspruch nehmen wollen.
Walter Kempowski stellte im 'Echolot' jedenfalls der allzu leicht blasierten wie selbstgewissen Außensicht einiger Nachgeborener nun eine vielschichtig authentische Innenansicht gegenüber. Nicht in Bausch und Bogen abgetan, gedankenlos gehorsames Mitläufertum aber stets kenntlich in Szene gesetzt. Und dafür hat er sich den nun anhaltend gewährten Respekt redlich verdient.
Seine Notizen belegen eine Eigenwilligkeit, aufrichtig bis zur Peinlichkeit, ein Durchhaltevermögen und eine Disziplin, die ihn auch sehr viel Geld für das Archiv investieren ließ, ohne zu wissen, ob das 'Echolot' Erfolg haben oder jemals auch nur gedruckt werden wird. Und dann hat er es doch noch durchgesetzt ...
Kauzig? Verschroben? Ja, ja - aber wenn das zu seiner Kunst gehört, sei's ihm zugestanden, von hier aus nicht zu bewerten. Wer das 'Echolot' gelesen oder zumindest begonnen hat, sollte sich keinesfalls diese Notizen entgehen lassen - und auch alle anderen erhalten hierin einen selten authentischen Einblick in die Schriftstellerwerkstatt eines Autors, ohne den der deutschen Literatur ein gewichtiger Solitär fehlen würde.
Weitere Besprechungen zu Werken von und über Walter Kempowski siehe:
Büchernachlese-Extra: Walter Kempowski (1929 - 2007)