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1973 in der Schweiz gestorben, hätte Karl Kerényi dieses
Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert. Nach langer Zeit nun wieder aufgelegt,
setzte er sich In TÖCHTER DER SONNE sehr eingängig mit den mythologischen
Hintergründen der olympischen Götterwelt auseinander.
Menschennah,
ja menschenähnlich muten uns die Handlungen und Eingriffe der griechischen
Gottheiten an, doch es steckt mehr dahinter, als die zuweilen recht eigenwillige
Abbildung irdischen Geschehens. So macht Kerényi eine Helios-Hades-Achse
aus, denen sich die anderen Gottheiten zuordnen lassen. Helios, der Sonnengott,
steht dabei für alles Lichte und Hades, der Gott der Unterwelt, für
alles chtonisch Erdverhaftete, Dunkle, Geheimnisvolle. Aber beide sind
miteinander "verwandter" und in engerer Beziehung, als man es beispielsweise
in der Odyssee vermuten könnte. Insbesondere die Drohung des
Helios, das Totenreich wegen des Frevels der rinderschlachtenden Gefährten
von Odysseus auszuleuchten, verweist auf die Schichten eines älteren Mythologems
und darauf, daß Teilaspekte der vorgeblich verdrängten Urgöttergenerationen
immer noch fortwirken. Das generalisierende "Lichte" eines Helios
findet wiederum u.a. eine Konkretion in der Tochter Kirke und eine
weitere in der Enkelin Medea. Beide Göttinnen stehen dabei ausdrücklich
in Spannung zu ihren Hades-Anteilen, zauberhaft bis mörderisch. Faszinierend
wie überraschend auch das machtvoll Geheimnisträchtige an der
Königinnenwürde der mit Zeus rivalisierenden Hera.
Gerade weil
Kerényi in seinen Betrachtungen nichts Abschließendes mit
systematisierenden Charakter bieten wollte, sondern frei suchend, erzählend
sich diesen Fragen näherte, sei dieses Werk auch den "einfachen"
Liebhabern griechischer Sagen sehr anempfohlen.
Weitere Besprechungen zu Werken von Karl Kerényi siehe:
Büchernachlese-Extra: Karl Kerényi