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Die 18jährige Doris träumt vom Glück in der großen, weiten Welt. Nachdem ihr in einer Kanzlei als Sekretärin gekündigt wurde, versucht sie es erst noch als Schauspielstatistin in einem kleinen Theater ihrer "mittleren" Heimatstadt, aber dann nutzt sie die Gelegenheit und entwendet aus der Garderobe einen Feh-Pelzmantel. Damit angetan, reist sie ab ins schillernde Berlin der 20er Jahre ...
Kurt Tucholsky schrieb über "Das kunstseidene Mädchen" von Irmgard Keun: "Ein durch und durch originelles Buch, das den Leser unwiderstehlich in seinen Wirbel von toller Laune, tiefem Gefühl und tragischer und komischer Verstrickung zieht."
1932 als ihr zweites Buch erschienen und ein "Sensationserfolg", scheint es auch über 70 Jahre später kaum Patina angelegt zu haben. Schon damals die Konventionen der Rechtschreibung sprengend, hat man Doris gleich ihm Ohr. Sie ist nicht einfach frech oder unverschämt, sondern "kess". Dermaßen geadelt, besticht Doris bei aller scheinbarer Bodenlosigkeit ihres Handelns und Denkens vor allem durch eine ansteckend liebenswerte Lebensfreude.
Einziger Anachronismus ist ihre Fixierung darauf, das erträumte Glück nicht etwa selbstbestimmt in einem Beruf sondern an der Seite eines entsprechend solventen Mannes zu finden - allerdings zum Teil mit Argumenten, die leider nicht selten noch heute triftige Gültigkeit haben. Und auch ihr Traum vom Haben-wollen gewisser Luxusgegenstände und dafür nicht Arbeiten-müssen mutet wieder sehr heutig an und dürfte so manchen jungen Menschen aus der Seele sprechen.
Die Pendelbewegung zwischen solchen Träumen und der Realität lieferte der Autorin jedenfalls eine wunderbare Bühne für ein Stakkato tragikomischer Szenen, die gleichermaßen anrühren und das Zwerchfell strapazieren. Und en passent breitet sich hier zugleich eine detailreiche Momentaufnahme aus, die das bereits Trügerische der letzten Friedensjahre beleuchtet.
Die Edition Büchergilde hat sich wieder einmal mit der Ausstattung sehr ins Zeug gelegt und dieser Neuauflage 24 ganzseitige Illustrationen von Gerda Raidt gegönnt. Sie sind auf ihre Weise genauso instruktiv wie das Nachwort von Anna Barbara Hagin, die dem Autobiographischen dieser Geschichte nachgeht.
Bei dieser Gelegenheit sei nicht vergessen zu erwähnen, dass "Das kunstseidene Mädchen" in Katherina Lange eine würdige Vertreterin gefunden hat und als quirliger Monolog, zeitgenössische Couplets inklusive, bereits in der x-ten Aufführung im Renaissance-Theater Berlin noch immer Erfolge feiert. (Regie: Volker Kühn; Termine siehe www.vauka-berlin.de)