buechernachlese.de
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Es hat den Anschein, als würde unter dem Ost-West-Mauerschutt so
manches Thema begraben, das eigentlich von größter Präsenz
sein müßte.
Kinder, insbesondere "behinderte" Kinder gehören zu einer
"Minderheit". Nicht, weil es etwa so wenige davon gäbe, sondern
weil sie im Gegensatz zur Minderheit der Wirtschaftsmagnaten über
keine wirkungsvolle Lobby verfügen. Man denke nur an das unrühmliche
Ende des Kitastreikes in Westberlin. Spätestens zu diesem Zeitpunkt
bekommt die Frage nach der eigentlichen Prioritätensetzung der VertreterInnen
unseres Gemeinwesens einen bitter-zynischen Beigeschmack, und an die großformatig
plakatierten Zukunftsversprechungen mag glauben, wer will - diese waren
und sind vermutlich nur von rein ästhetischer Relevanz.
Die Flickschuster unseres Systems - ErzieherInnen, LehrerInnen u.a.
geben aber noch nicht auf!
AUS DEM RAHMEN FALLEN ist eine Sammlung engagierter Aufsätze ganz
offensichtlich kompetenter SozialarbeiterInnen, PsychologInnen und ÄrztInnen,
die den Binnenraum staatlicher Fürsorge für unsere Kinder untersuchen
und zur Diskussion stellen.
Charlotte Köttgen z.B. erscheint es zynisch, "wenn von konservativer
Seite immer wieder die Tatsache beschworen wird, daß linksgerichtete
Kräfte planten, die Familie zu zerschlagen; die Familie ist als funktionsfähige
soziale Erwerbs-und Lebensgemeinschaft seit Jahrzehnten zerschlagen, und
zwar durch eben diese gesellschaftlichen Produktionsbedingungen, für
die gerade jene Konservativen sich unüberhörbar einsetzen."
Die in dem Buch beschriebenen Zielsetzungen bleiben aber mit ihren
Forderungen durchaus im reformerischen Rahmen. Vorrangig gilt es die Erkenntnis
zu verdeutlichen, daß das Hin und Herschieben von Kindern und Verantwortlichkeiten
nicht mehr der Weisheit letzter Schluß sein kann. Im Rahmen des Möglichen
sollen ÄrztInnen aus der Psychiatrie und PädagogInnen zusammenarbeiten,
das Kind möglichst kontinuierliche Betreuung erfahren und immer näher
innerhalb der Gesellschaft leben können. Ein dazu vorgestellter und
positiv gewerteter Entschluß Hamburgs macht Hoffnung.
Es ist leider nicht möglich auf alle in diesem Buch vertretenen
Beiträge einzu-gehen, wiewohl jeder beachtenswert ist, da alle zusammen
Kindererziehung theoretisch, praktisch, selbstkritisch und historisch (s.
dazu: "Über den Tellerrand vierhundertjährigen Denkens" von
S. Richter und "Anything goes?" von F. Peters) vor Augen führen.
Wer an dem War-, Ist- und Werdezustand möglicher Kindererziehung interessiert
ist, kommt an diesem Buch nicht vorbei.