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Mit seinem Buch DIE NOTWENDIGKEIT DER UNAKZEPTABLEN KIRCHE will Matthias
Kroeger, Professor für neuzeitliche Theologie- und Kirchengeschichte,
zu "distanzierter Christlichkeit" ermutigen. So paradox der Titel
klingt, er könnte Sinn machen. Der distanzierte Christ, als der sich
der Autor versteht, verwirft im Gegensatz zu polemischen Kirchenkritikern
wie Deschner oder Herrmann die christlichen Kirchen nicht samt und sonders.
Er sieht sich vielmehr an ihren Rändern und damit sogar innerhalb
der volkskirchlichen Mehrheit. Diese "Randmehrheit" droht nun allerdings
nach und nach aus den Kirchen auszutreten - tut sie es bewußt, etwa
auch mit einer echten religiösen Alternative im Gepäck, kann
und will Kroeger dagegen gar nichts einwenden. Die Beengungen und Beschränkungen,
wie sie der Autor nicht zuletzt durch das zwanghaft "Bekenntnishafte"
in den Kirchen erlebt, würden so einen Schritt durchaus rechtfertigen.
Dieses von ihm kritisierte Bekenntnis fängt bei dem hermeneutischen
Gottesbegriff an, bei dem Kroeger nicht nur die "Gleichursprünglichkeit
des Bösen und Guten in Komplementarität" denken, sondern überhaupt
Häresie und den Synkretismus verschiedenster Gottesvorstellungen als
hilfreiche, Kirche lebendig machende Auseinandersetzungsform erfahren möchte.
Die "grotesk-kleinbürgerlichen (allerdings älteren) Äußerungen"
der EKD-Kammer und die römischen Verlautbarungen zur sexuellen Ethik
speziell zum vorehelichen Geschlechtsverkehr, die decouvrierende Behandlung
von geschiedenen Pastorinnen und Pastoren sowie der Umgang mit Homosexuellen,
feministischer Theologie oder der Suizid-Thematik sind weitere aber nicht
einzige Posten seiner "Liste der Verfehlungen".
Andererseits gibt Kroeger gerade auch den kirchenfernen "Linken"
zu bedenken, welche Vakua entstünden, sollten die Kirchen eines Tages
tatsächlich auf Vereinsmaß zurückgestutzt werden. Entgegen
der SPIEGEL-Umfragen seien immer noch gut 85% der Alt-Bundesdeutschen Mitglied
einer der beiden Volkskirchen, und diese Kirchen haben als größte
gesellschaftlich relevante Gruppe innerhalb unseres Landes ein nicht zu
unterschätzendes Potential, das sich u.a. gegen die wachsende Entsolidarisierung
stark machen kann. Gerade die derzeit ansteigende Kirchenaustittstendenz
ist aber der "meist undurchschaute Teil einer größeren Privatisierungs-
und Entsolidarisierungswelle, die die gesamte Öffentlichkeit betrifft".
Individualisierung, was hier Religionslosigkeit meint, bedeutet eben auch
den Verlust der Anbindung an die Gesellschaft. Zudem ist man alleine auch
damit überfordert, "fortwährend eine ganz eigene religiöse
Gestalt zu suchen und zu finden; wir müßten lauter religiös
schöpferische Genies sein." Also bitte weiterhin Kirchensteuer
zahlen, damit wir weiterhin auf eine seriöse Institution zurückgreifen
können, die moralisch-geistlich-religiöse "Herberge" gewährt.
Und was die Kirchen angeht, sollen sie doch bitte den Vorstellungen
der Distanzierten (mehr) Zeit, Raum und Gehör schenken, um schließlich
völlig aufgeschlossen aber trotzdem nicht beliebig zu sein ...
Zu würdigen ist in jedem Fall Kroegers Ansatz, mutmaßlich
"real-existierende" Glaubenswirklichkeiten in und außerhalb
der Kirchen zur Diskussion zu stellen. Manche seiner Ansätze sind
im besten Sinne anstößig und von daher hilfreich. Allerdings
unterliegt er bei seinem Versuch einer Quadratur des Kreises einer Niemand
verprellen wollenden Eiertänzerei. Die Unschärfen resultieren
aber nicht nur daher. Sein Buch ist einfach in schlechter Verfassung: Professoral
geschwätzig und derart undiszipliniert gegliedert, daß man oft
vor lauter Ärger die Lust am Weiterlesen verliert. Einfach zwei Reden
zusammenzuschustern, ohne sie auf Wiederholungen durchzusehen und in ein
Ganzes zu überarbeiten, hat weder das Thema noch der Kunde verdient
- egal, ob distanzierter, nicht distanzierter oder gar kein Christ!