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Das älteste Kabarett unseres nun wieder vereinigten Nachkriegsdeutschlands
ist das "Kom(m)ödchen" in Düsseldorf, ein Jahr später, 1948,
gründeten sich die nicht mehr existierenden "Insulaner", wieder ein
Jahr später, "Die Stachelschweine" in Westberlin. "Die Distel" und
die Leipziger "Pfeffermühle" einerseits, andererseits die Münchener
"Lach- und Schließgesellschaft, halten ihr Fähnchen bereits
seit Mitte der 50iger Jahre mehr oder weniger standhaft gegen den gesellschaftspolitischen
Wind.
Wie standhaft genau, d.h. mit welchen Drehungen und Wendungen sich
das Kabarett in dem ersten Vierteljahrhundert nach dem II.Weltkrieg über
Wasser hielt, belegt sehr eindrücklich in neun Kapiteln der 4. Band
der von Volker Kühn herausgegebenen Kabarett-Bibliothek. Ein Kapitel
z.B. ist allein den AutorInnen der deutschsprachigen Schweiz und Österreich
(Qualtinger, Kreisler) gewidmet.
Autoren wie Erich Kästner, Werner Fink und Wolfgang Neuss sind
vielleicht schon (völlig zu Unrecht!) in Vergessenheit geraten, Dieter
Hildebrandt und Hanns Dieter Hüsch sind es wegen ihrer scheibchenweise
geduldeten TV-Präsenz immerhin (noch) nicht - aber wie sehr sich das
Kabarett unserer Tage wieder den parodistisch-klamaukigen 50-igern angenähert
hat, kann man auch an jenen Texten überprüfen, die in den 60-igern
gegen den Mief der "Wirtschaftswunderjahre" revoltierten. Damals sang ein
Wolf Biermann gemeinsam mit Wolfgang Neuss gegen den Krieg (Soldat, Soldat
in grauer Norm), um nun heute für die erst kürzlich fernsehgerecht
übertragenen "chirugischen Eingriffe" am Golf zu sein. Andere wie
z.B. Hannelore Kaub ("Bügelbrett") haben vor dem neuen, alten Zeitgeist
scheinbar endgültig resigniert oder bringen wie Volker Ludwig ("Das
Reichskabarett") zwar nach wie vor ihr gesellschaftskritisches Engagement
ein, wenn auch "nur noch" in einem hervorragenden Kindertheater ("Grips").
Wie in den vorangegangenen drei Bänden, die nächstes Jahr
mit dem fünften und letzten Band schließlich das ganze Kabarett-Jahrhundert
überblicken, stattete V.K. die Kapitel mit kompetent, liebevoll-engagierten
Essays aus. Zudem ergänzte er die Texte im Anhang mit z.T. verblüffenden
Hintergrundinformationen sowie den Kurzbiographien der im Buch vertretenen
AutorInnen. V.K. hat im Übrigen für das ZDF das Drehbuch zu einer
mehrteiligen Dokumentarserie über die "10.Muse" geschrieben, die Anfang
'94 ausgestrahlt werden soll. Mit dieser Bibliothek aber leistete
er bereits höchst wichtige Zeugenarbeit - gerade auch für jene,
die das Wort "Patriotismus" wieder "neu" und "ohne Bauchschmerzen" buchstabieren
wollen.
Interview und weitere Besprechungen zu Werken von Volker Kühn siehe:
Textenetz: Volker Kühn