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Es beginnt mit dem Tod der eigenen Mutter, die wie der Ich-Erzähler an Multipler Sklerose (MS) erkrankt, ihm auf dem Totenbett seine eigene nahe Zukunft plastisch vor Augen führte. Dem folgen über 50 weitere Kapitel, in denen Träume (im CT), Orte, Autoren bzw. Bücher, letzte Male, erste Wünsche und vieles andere angesprochen werden und sich zu einem bitter-süßen, traurig-harmonischen, verzweifelt-starken und auch wütenden Mit- und Gegeneinander kristalliner Daseinsbeschreibungen wie in einem Kaleidoskop verbinden.
Der bereits mit dem Alfred-Döblin-Preis 2023 ausgezeichnete Roman "Krüppelpassion - oder Vom Gehen" von Jan Kuhlbrodt ist in jeder Hinsicht vielschichtige Prosa, die neben den Tatbeständen nicht zuletzt das Doppelbödige und Verräterische wie auch das zuweilen absurd Begrenzte von Sprache aufzeigt, wenn z.B. besagte Mutter schon lange Zeit ans Bett gefesselt war, "obwohl aufgrund ihrer geschwundenen Kräfte eine Fessel überhaupt nicht nötig gewesen wäre, um sie am Aufstehen zu hindern."
Der auch in realiter an MS erkrankte Autor Jan Kuhlbrodt ist bereits schon seit Längerem auf den Rollstuhl angewiesen. Doch an seinem Roman wird der Unterschied zwischen einer Autobiografie und das künstlerische Gestalten unter dem Vorzeichen einer Autofiktion deutlich. Der Umstand seiner Erkrankung fällt hier als "dennoch" ins Gewicht, trotz einer solchen Erkrankung den Spagat zwischen einer Distanz zum Gegenstand fordernden Kreativität für eine Sprachregelung durchzuhalten, die Begriffe und Redewendungen immer mehr zu hinterfragen und sich zugleich "in echt" vor unzugänglichen Toiletten in die Hose machen zu müssen.
Und im Schlusskapitel schließt er im Rückblick auf seine Studienzeit einen Kreis, der ihn damals halbtags als Pflegehelfer von MS-Patienten auch auf einen "Kunden" namens Karsten treffen und mit ihm zu einer uns alle betreffenden Erkenntnis finden ließ, die irgendwie und trotz alledem dann auch ein wenig tröstlich wirkt …
Heutzutage ist viel von diversen Lebensformen die Rede, was sich meist nur bzw. ausschließlich auf die sexuelle Orientierung beschränkt - aber die Neugier als Leserschaft sollte auch nicht vor solchen Lebensformen die Augen verschließen, die wegen einer "Behinderung" oder/und Erkrankung per se nur als eingeschränktes Dasein wahrgenommen oder vielmehr verdrängt werden. Jan Kuhlbrodt macht jedenfalls in seinem bis zur letzten Seite packenden Roman deutlich, dass er und sein Ich-Erzähler selbstverständlich(!) weit mehr als die Summe der Symptome seiner Erkrankung ist - und deshalb auch über diese Symptome hinaus unser Interesse verdient.