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Als kleines Kind besuchte Ben gern seinen Großvater Karl in Wingroden. Dessen Gärtnerei und die nahe gelegene Kiesgrube waren für ihn anziehende Abenteuerspielplätze. Doch inzwischen ist Ben 16 Jahre alt und Wingrodens Einwohnerzahl von seinerzeit fünfundzwanzig auf neun gesunken - und zu diesen neun zählt jetzt auch er selbst. Wäre sein Vater nicht tot und seine Mutter nicht ständig mit ihrer kleinen Jazz-Combo unterwegs, hätte er sich niemals darauf eingelassen, in diesem Kaff bei seinem Großvater pro forma in die Lehre zu gehen. Ganz abgesehen davon, dass Ben lieber alte Autos repariert und er von seinem Großvater gar nicht mehr ausgebildet wird. Stattdessen muss Ben nun auch noch mit Karls zunehmender Altersdemenz zurechtkommen und ihn rund um die Uhr betreuen. Die Öde seines Alltags wird allein von dem Tankstellen- und Lebensmittelladeninhaber Maslow durchbrochen, der immer wieder neue Ideen ausbrütet, um Wingroden in einen Besuchermagneten für geldbringende Touristen zu verwandeln. Ben findet und fand diese Ideen allesamt bescheuert. Doch Maslows jüngster Einfall, erst die verbliebenen Einwohner und dann die Presse von UFO-Sichtungen zu überzeugen, sollte tatsächlich noch Bewegung in Bens Leben bringen - wenn auch ganz anders, als von Maslow gedacht ...
Einiges weist zwar auf einen Ort im Westen Deutschlands hin, doch Wingroden ist fiktiv und ein Anagramm von "Nirgendwo". Der Schweizer Autor Rolf Lappert zielt mit Wingroden vor allem auf eine Verortung jenes Scheitelpunktes in dem Erleben vieler Heranwachsender, der sich scheinbar perspektiv- und ausweglos in eine gefühlte Ewigkeit zu dehnen vermag.
Und das gelingt ihm auf eine das Gemüt und das Zwerchfell anrührende Weise, die im deutschsprachigen Raum schon seit Langem seinesgleichen gesucht hat.
Dass sein "Pampa Blues" u.a. mit einem geschmetterten "Going up the country" von Canned Heat und dem VW-Bully, den Ben für eine Afrikareise herrichten will, eher auf die Jugendzeit des Autors verweist als auf die Erlebniskürzel heutiger Jugendlicher, ist mit der Sehnsucht Bens nach seinem verstorbenen Vater begründet. Ein gelungener Kunstgriff, denn diese Verweise lassen generationenübergreifend genau jenem Gefühl nachspüren, das Jugendliche an sich und dem Sinn des Lebens zweifeln lässt - damals wie heute.
Jahrgang 1958, erlaubte die zeitliche Distanz dem Autor vermutlich ureigene Erfahrungen in einem wundervoll inszenierten Plot mit vom Leben gezeichneten Charakteren zu kanalisieren. "Natürlich" dreht sich auch sein Ich-Erzähler Ben erstmal nur im Kreis - aber seinem jugendlichen Lamento jubelt Lappert zugleich ein köstlich dröges Quantum an (Selbst-)Ironie mit entsprechender Situationskomik unter, das auf den pointierten Widerhall der Wingrodener Lebensgemeinschaft und der mit ihrem Auto liegen gebliebenen und von Ben alsbald heiß verehrten Lena stößt. Alle miteinander auf der Kippe, lässt Lappert sie an sich und ihren Fehlern wachsen - trotz und gerade wegen nicht einplanbarer Widrigkeiten, wie sie das Leben nun mal nicht selten bereit hält.
So gelingt ihm auch eine herzergreifende Momentaufnahme, als sein "Fänger im Roggen" eine Flucht ins vermeintliche Liebesglück abbricht, um sich dann doch wieder um seinen Großvater zu kümmern. Und der Hinweis auf Salingers Klassiker meint nicht weniger, als dass Lappert mit "Pampa Blues" auch den Vergleich mit Autoren wie Michael Gerard Bauer oder Louis Sachar nicht scheuen muss - sie hierzulande in der Wirkung wegen der Anbindung an den eigenen Kulturraum womöglich sogar übertrifft.
Dieses Buch dürfte jedenfalls für längere Zeit Bestand haben und von jung und alt immer wieder gern gelesen werden. Unbedingt ein Kandidat für den Deutschen Jugendliteraturpreis!