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Unter dem Bibelvers 'Der Mensch lebt nicht vom Brot allein' sind siebzehn Beiträge des letztjährigen 'Forums für Heil- und Religionspädagogik' nachzulesen. Einmal mehr steht die Anschauung behinderter Menschen im Vordergrund und wie nicht behinderte (oder 'enthinderte') mit ihnen umgehen, sich mit ihnen auseinandersetzen und sie unterrichten sollten - oder auch von ihnen lernen können, wozu u.a. sehr eindrücklich das Kapitel mit einer kleinen Textauswahl von OHRENKUSS-Redakteuren animiert. Eine Vielzahl konkreter Anregungen werden für die Arbeit in der Gruppe oder/und im Unterricht gegeben: Ob 'Mit den Augen der Kunst sehen lernen' oder 'Bewegung und Tanz' oder 'Jeux Dramatiques' oder 'Schöpfung mit allen Sinnen erleben' - das alles und noch viel mehr wird nicht nur Religionslehrern, sondern überhaupt Pädagogen jedweder Art sicher ein äußerst lohnenswerter Fundus sein.
Darüberhinaus bieten aber auch gerade die drei Essays zu Anfang des Buches horizonterweiternde Gedankennahrung. So erläutert der emeritierte Professor für Sonderpädagogik Andreas Möckel sehr instruktiv die These, daß die Erziehung und Bildung behinderter Menschen zu den Errungenschaften der ungeschriebenen Verfassung Europas und der Demokratie gehört. Prof. Linus S. Geisler legt als Mitglied der Enquete-Kommission 'Recht und Ethik der modernen Medizin' in seinen 'Verheißungen der Biotechnologie' ein glühendes Bekenntnis zum Mißtrauen gegenüber den Gentechniken ab. Der mich beeindruckenste Vortrag ist gleich der erste vorneweg von Nancy L. Eiesland, der ich auch den Begriff des 'enthinderten' Menschen s.o. verdanke. US-amerikanische Theologin und Professorin für Religionssoziologie, gibt sie in 'Dem behinderten Gott begegnen' theologische und soziale Anstöße für eine Gerechtigkeit einfordernde 'Befreiungstheologie der Behinderung'. Selbst behindert, stellt sie u.a. den auferstandenen Jesus als einen gezeichneten, mithin behinderten Gott vor, dessen Behindertsein Teil seiner Vollendung ist. Nicht-behinderte sind in Wirklichkeit oft nur auf Zeit enthinderte: 'Wir sind eine Minderheit, der man unfreiwillig beitreten kann, ohne Vorwarnung und jederzeit'. Nach vielen fesselnden Weiterungen kommt sie jedoch auch zu dem ermutigenden Schluß: 'Wenn wir riskieren, dem behinderten Gott zu begegnen, werden wir möglicherweise mit größerer Klarheit wahrnehmen, in welcher Fülle Gott in der Unverwechselbarkeit und Vielfalt um uns herum wahrzunehmen ist.'