buechernachlese.de
|
Joel feiert Sylvester nicht am 31. Dezember, sondern Wochen vorher in
der Nacht nach dem ersten Schneefall. Ein Sylvester ohne Knaller und Raketen,
dafür mit einem Gelübde auf dem Friedhof seines kleinen Dorfes
hoch oben im Norden Schwedens. Drei Vorsätze sollen ihm helfen, bald
erwachsen zu werden: Er will in diesem Jahr endlich das Meer sehen, er
will sich abhärten, damit er hundert Jahre alt wird, und er will ein
Mädchen sehen, genau so nackt unter Schleiern wie einst Salome, von
der die Lehrerin aus der Bibel vorlas.
Was das Meer angeht, müßte Joel erst seinen Vater Samuel
in die Gänge bringen. Dabei ist Samuel früher zur See gefahren.
Seit ihn jedoch die Mutter Joels verlassen hat, ist er immer wieder in
Gefahr, sein bißchen Verdienst als Holzfäller zu vertrinken.
Sich abzuhärten wird vermutlich leichter sein, als mit dem Vater ans
Meer zu kommen. Joel will jede Nacht etwas länger im Freien schlafen.
Aber um die neue Verkäuferin aus Stockholm einmal nackt sehen zu können,
müßte er sie schon sehr beeindrucken. Ja, wenn man Geld hätte
und berühmt wäre, so wie Elvis Presley. Aber warum soll Joel
nicht Schwedens jüngster Rock-König werden, so eine Art "Schnee-Elvis"?
Nach dem ersten, mehrfach preisgekrönten Buch ist "Der Junge,
der im Schnee schlief" nun das dritte, das vom Werden und Wachsen des mittlerweile
knapp vierzehnjährigen Joel erzählt. Der schwedische Autor Henning
Mankell hat diese Kindheitsgeschichte in den fünfziger Jahren angesiedelt.
Aber die Träume und Sehnsüchte seines phantasiebegabten, früh
zur Selbstständigkeit gezwungenen Helden erweisen sich auch in dieser
Geschichte als zeitlos. Für das sich Reiben mit den Erwachsenen und
die beginnende Abnabelung vom Elternhaus findet der Autor ausdrucksstarke
Bilder, die in ihrer Skurrilität an Mark Twain und in ihrer Ernsthaftigkeit
an den frühen Hermann Hesse erinnern. Man soll sich deshalb nicht
von dem dörflichen Umfeld täuschen lassen. Mag sein, das an so
einem Ort lange Zeit gar nichts passiert, aber dafür kommt es dann
auf einmal wieder "knüppeldicke". So durchleidet Joel die Qualen
eines zutieft Gekränkten, um nur wenig später von allen als Lebensretter
gefeiert zu werden - und das Alles innerhalb nur eines Tages. Diese Mischung
aus Traumwelt und beinhartem Alltag, echten Abenteuern und Noch-Zukunftsplänen
fesselt von der ersten bis zur letzten Seite. Sie faßt in Worte,
was Jugendliche im Alter Joels heute noch und wohl auch in Zukunft immer
wieder sprachlos macht.
Weitere Besprechungen zu Werken von Henning Mankell siehe:
Büchernachlese-Extra: Henning Mankell