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Das Buch "Die Philosophie der Kindheit" behandelt keine Philosophie
über die Kindheit, sondern meint tatsächlich das Philosophieren
von Kindern. Nach Meinung des Autoren Gareth B. Matthews sind die Voraussetzungen
der Kinder, nämlich Unvoreingenommenheit und Erfindungsreichtum, die
einzig wirklich wichtigen Kriterien, um philosophieren zu können.
Diese Gaben würden eine geringer ausgebildete Disziplin und Verstandesschärfe
bis zu einem gewissen Grad durchaus wettmachen. Der Professor für
Philosophie an der Universität von Massachusetts legt nun in zehn
Kapiteln sehr plausibel dar, was das Philosophieren der Kinder auszeichnet
und vor allem, welche Schlußfolgerungen aus der Erkenntnis dieses
Umstandes gezogen werden könnten.
Nicht nur für Pädagogen besonders interessant dürfte
seine Attacke auf das Stufenmodell Piagets sein. Danach suggerieren Piagets
"Invarianzexperimente" nur auf der Grundlage falscher Fragestellungen,
daß Kinder erst die Phasen von Egozentrismus und Phänomenismus,
d.h. kognitive Unzulänglichkeiten überwinden müßten,
bevor sie bedeutungsvolle philosophische Mutmaßungen anzustellen
vermögen. Ebenso widerspricht er diversen Theorien, die auch die moralische
Kompetenz in ein Stufenmodell zwingen wollen, das die Kinder erst der Reihe
nach zu durchlaufen hätten.
In dem mit "Kinderrechte" überschriebenen Kapitel führt
Matthews in eine Debatte ein, die, wenn es zum Beispiel um die Teilnahme
an politischen Wahlen oder auch um die Scheidung von Eltern geht, überraschend
positive Argumente findet. Es folgen die Kapitel "Das Vergessen der
Kindheit", "Kindheit und Tod", "Literatur für Kinder" und "Kunst
von Kindern". In letzterem weist Matthews geradezu genüßlich
die Ignoranz von Erwachsenen nach, wenn sie ganz selbstverständlich
den von Kindern gemalten Bildern bestenfalls nur sentimentale Wertschätzung
zukommen lassen.
Die Leistung dieses flüssig geschriebenen Buches liegt insbesondere
darin, daß Matthews keine apodiktischen Antworten erteilt, sondern
ins Mark zielende Fragen stellt, die nicht so leicht von der Hand zu weisen
sind. Danach werden Kinder nicht erst zu Menschen, sie sind es bereits.
Und solange die Gesellschaft dem nicht Rechnung trägt, kann alles,
was diesen Gegebenheit erhellt, nicht banal sein.