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Matthias Matussek

Palasthotel Zimmer 6101

Reporter im rasenden Deutschland
Rasch & Röhring, Hamburg 1991, 276 S., ISBN: 3-89136-409-1, >>> Amazon
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"Eines der merkwürdigsten Phänomene der Wende ist das mangelnde Interesse an der Kultur und das geradezu überschäumende an ihren Machern."
Er, Matthias Matussek, hat Interesse an der Kultur, insbesondere am Theater, aber "auch bei Gysi interessierten mich nicht in erster Linie seine Ideen, die Geschmeidigkeit seiner Argumente, die Austauschbarkeit politischer Positionen, sondern der Mensch, der dahintersteckte."
Matussek arbeitet seit geraumer Zeit für den SPIEGEL und legt nun sein 4. Buch vor, das eine "persönliche Geschichte vom Jahr der deutschen Einheit" erzählt.
Eine Orientierungshilfe im deutsch-deutschen Gefühlschaos schien ihm Heiner Müller zu sein, den er sehr schätzt, weil für ihn "Menschen keine Heiligen sind, keine gereinigten Comic-Helden, sondern gleichzeitig großartig und Schweine".
Matussek braucht sich jedoch nicht hinter zitierfähigen Leuten zu verstecken, sondern beweist den Mut zur subjektiven Vereinahmung sogenannter historischer Stunden. "Unser" Erringen der Fußballweltmeisterschaft oder der Verlust seines ausgebeulten Cabrios wird ihnen gegenübergestellt - ganz wie im wirklichen Leben eines privilegierten Kleinbürgerlebens mit durchaus links-progressiven human-touch. Zudem hat er das gewisse Etwas, notwendige Situationskomikmuster in die pathosgeladenen und später katzenjammernden sehr deutsch-gefühligen Gewebe einzustricken. Das fängt schon damit an, wie ihm in Santa Cruz ein US-Amerikaner zum Fallen des "iron curtain" gratuliert. Seine Reportage vom Erdbeben in Kalifornien würde nun zur Randnotiz, dabei war hier "ewiger Sommer. Und am anderen Ende der Welt November. Was hatte ich mit Deutschland zu schaffen, mit DEUTSCHLAND? Die Bundesrepublik, meinetwegen, Städte wie Hamburg, München, West-Berlin, Oberhausen, in denen ich aufgewachsen war und studiert und sozusagen dezentral gelebt hatte. An den kleinen Brocken Deutschland hatte ich dabei nie gedacht. Und ganz bestimmt nicht an die DDR, die womöglich aus dem schlanken einen fetten Brocken machen würde!"
Er sollte es kennenlernen, das nochmals gewendete Deutschland. Über ein halbes Jahr wohnte er im Ost-Berliner Palasthotel und gelangte so zu einer ganz speziellen Sicht deutscher Befindlichkeiten, vor allem die der DenunziantInnen, die alles nun ganz genau ... vom anderen wußten. Die eingestreuten Reportagen mit und über Heiner Müller, Hans-Peter Minetti, Ruth Berghaus, Hermann Kant, Thomas Krüger und Gregor Gysi sind offen parteilich und gerade deshalb nicht denunziatorisch. Und Matussek kann auch anders als flapsig. Bei den sogenannten "kleinen" Leuten vermittelt er ungekünstelte Anteilnahme, dann ist ihm nur noch "zum Heulen". Der durch den Titel seines Buches evozierten Nähe zu E.E. Kisch kommt er hierbei am Nächsten, ebenso am Schluß bei seiner Geschichte über den russisch-jüdischen Pianisten A. Ugorski, der gerade noch rechtzeitig in Ost-Berlin eine Bleibe gefunden hat.
Ein erholsames Buch, das vieles wieder auf den Boden der Tatsachen stellt, mit Selbstironie und einer weiteren Erkenntnis von Heiner Müller: "Ein Problem der Intellektuellen ist, daß sie ihren Einfluß überschätzen. Wir müssen aufhören, Religionsstifter sein zu wollen."

Buechernachlese © Ulrich Karger


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