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In den USA hat sich in den letzten drei Jahrzehnten eine neue Fakultät
herausgebildet: Die Kognitionswissenschaft. Anthropologen, Informatiker,
Linguisten, Philosophen und andere bilden darin ein interdisziplinäres
Zweckbündnis, um insbesondere sich ergebende Überschneidungen
an den Randbereichen der jeweiligen Einzeldisziplin nun gemeinsam zu "beackern".
Das hat bereits revolutionierende Folgen, wenn nun zum Beispiel das "Sozialwissenschaftliche
Standardmodell", wonach die menschliche Psyche nahezu ausschließlich
von der sie umgebenden Kultur geformt würde, bestritten wird, ohne
dabei gleich wieder dem "biologischen Determinismus" Tür und
Tor zu öffnen. Aber das gemeinsam erworbene interdisziplinäre
Denk-Instrumentarium wirkt auch in die einzelnen Fachgebiete selbst hinein.
So zeitigte nicht zuletzt der rege Meinungsaustausch des Philosophen
Colin McGinn mit dem Linguisten Noam Chomsky einen überraschenden,
sehr strittigen, nichtsdestotrotz anregenden Ansatz, über die Möglichkeiten
und Grenzen der Philosophie nachzudenken.
"Nicht weil philosophische Fragen zutiefst problematische, sonderbare
oder fragwürdige Wesenheiten oder Fakten betreffen, stellt sich philosophische
Verwirrung ein, sondern weil unserem Erkenntnisvermögen bestimmte
Grenzen innewohnen."
Ähnlich wie unser Sehvermögen zwar leistungsstark ist, aber
nicht alle Farbspektren erfaßt, wären wir Menschen zwar in der
Lage manch philosophische Frage aufzuwerfen, ohne sie je wirklich beantworten
zu können. Uns fehle schlicht das notwendige "Organ" dazu.
"Der Aufbau unseres Erkenntnisvermögens behindert die Erkenntnis
der eigentlichen Natur der objektiven Welt. Diese These nenne ich den transzendentalen
Naturalismus, abgekürzt TN."
Was McGinn erst nur auf das "Leib-Seele-Problem" bezog, erhebt
er nun zu einem generellen Frage-Ansatz, der vergleichbar grundsätzliche
Problemstellungen wie "Das Ich", "Das Meinen", "Die Willensfreiheit",
"Das Apriori" und "Das Wissen" einschließt. Kapitel für
Kapitel führt er die genannten Problemstellungen in seinem neuen Buch
aus, untersucht diese im DUME-Schritt, das heißt nach den vier gängigen
philosophischen Standpunkten, die einen problematischen Begriff entweder
domestizieren, für unzurückführbar erklären, vom
mystischen Standpunkt aus betrachten oder ihn schlicht als nicht weiter
relevant eliminieren, um zuletzt ihre Möglichkeiten und Beschränkungen
nach dem TN darzulegen. Analog zu der Theorie von einer Universalstruktur
menschlicher Sprachen, die auf ein uns allen innewohnendes "diskretes
kombinatorisches System", also einer Art "Sprachmodul" zurückzuführen
ist, vermutet McGinn etwas, "was bei der Abgrenzung des der Vernunft
zugänglichen Bereichs die gleiche Rolle spielt wie die Grammatik,
so daß dieses Etwas Schranken festlegt, die das philosophischen Denken
nicht überschreiten kann."
(Wer der Analogie mit dem Sprachmodul hier nicht folgen kann, dem sei
auch nachdrücklich "Der Sprachinstinkt" von Steven Pinker, Kindler
Verlag, München 1996 empfohlen!)
Diese Vermutung findet ihren Ausdruck in dem Kürzel KAGA, das
McGinn als "kombinatorischer Atomismus mit gesetzartigen Abbildungen" entschlüsselt.
KAGA bezeichnet ein Muster, wie Menschen Probleme in Beziehung zu setzen
oder auch zu lösen pflegen, aber es erlaubt uns eben seiner Struktur
nach keine Erkenntnisse über die obengenannten Meta-Probleme. So führt
McGinn am Beispiel des "Meinens" aus, daß es keinen triftigen
Grund für die Annahme gibt, "daß wir über Anlagen zur
Erfassung der Möglichkeit des Meinens verfügen. Denn dessen zugrundeliegenden
Ermöglichungsprinzipien sind für ein Vermögen von der Struktur
des unseren völlig uninteressant." Oder noch zugespitzter: "Daß
wir dazu imstande sind, etwas zu meinen, hat schließlich nicht den
Sinn, das Wesen des Meinens selbst zu begreifen, sondern diese Fähigkeit
dient dazu, andere Dinge vorzustellen."
Sein Fazit klingt denn auch nachgerade demütig und setzt fort,
was schon Locke, Hume, Kant und Schopenhauer angedacht haben: "Es sollte
uns nicht wundernehmen, daß wir nicht über Dinge Bescheid wissen,
über die wir gern mehr wüßten, sondern was uns wirklich
überraschen sollte, ist, daß wir überhaupt soviel wissen,
wie wir wissen."
Aber dann überrascht McGinn noch mit einer erkenntnispluralistischen
Volte, indem er überlegt, ob in unseren Genen nicht auch gerade der
Code enthalten ist, der unsere Fragen auf all die ungelösten philosophischen
Probleme beantworten könnte - wenn wir diesen Code denn nur dereinst
einmal zu entschlüsseln vermöchten. Damit wäre unsere vielgepriesene
Vernunft nur die Vorstufe von etwas uns noch völlig Unbekanntem. So
oder so wäre es aber "nicht richtig, die Möglichkeit philosophischer
Erkenntnis zu verhindern, solange auch nur die geringste Aussicht auf Erfolg
besteht, sie zu erlangen."
McGinn wollte und vermochte an keiner Stelle die jeweilig gängigen
Theorien nachhaltig umzustürzen. Vielmehr sieht er in seinem Transzendentalen
Naturalismus einen "ontologischen Spielraum, die Freiheit, das, was
bis zuletzt rätselhaft bleibt, hinzunehmen". Und das Buch endet
in einer Anmerkung mit einem Zitat Chomskys: "Es ist ein Glück
für das betreffende Lebewesen, wenn es Probleme gibt, die es gar nicht
lösen kann, denn das heißt, daß es die Fähigkeit
besitzt, bestimmte andere Probleme zu lösen".
In einem Deutschland mit seinen erst kürzlich von Peter Glotz
(SPD) kritisierten 4000 Klein- und Kleinststudiengängen sollte nachgerade
der interdisziplinäre Impuls, der zu diesem Buch geführt hat,
Beachtung finden.