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Zwischen London und dem Meer lag an der Portsmouth Road das kleine Dorf Fairfield. Und dort hatte sich nach einem Frühjahrssturm von 1897 etwas höchst Verwunderliches ereignet: Mitten im Rübenacker des Gastwirts ankerte ein Piratenschiff. Zwar ärgerte sich die Frau des Gastwirts in Sorge um die womöglich dadurch eingeschränkte Rübenernte nicht wenig, aber die Gestalten an Bord waren eher gutmütiger Natur und zudem sehr großzügig im Verteilen ihres exquisiten Rums. Der lockte die alten und jungen Gespenster an, mit denen die Bewohner Fairfields seit Generationen friedlich zusammenlebten. Und natürlich schlug die Gespensterjugend über die Stränge, so dass nun auch noch der Dorfpfarrer eingreifen musste …
Das zuvor in Zeitschriften verstreute Werk von Richard Middleton (1882-1911) erlangte in Großbritannien erst kurz nach dessen Tod in einigen Buchausgaben größere Bekanntheit. Umso mehr war es an der Zeit, dass nun endlich auch 13 seiner Stories dank Andreas Nohl eine kongeniale Übersetzung ins Deutsche fanden und unter dem Titel der oben kurz angerissenen Geschichte "Das Geisterschiff" herausgegeben werden. Noch dazu als einer der ersten drei Bände der neuen Reihe Steidl Nocturnes, die in bewährter Steidl-Ausstattung mit Lesebändchen und in ansehnlicher Leinenbindung Bibliophile oder/und nach einem wertigen Geschenk Suchende ansprechen und gerade mit diesem Band Einiges an Zugkraft gewinnen dürfte.
Gleich einem Basso continuo sind all seine Geschichten von einer Melancholie untergelegt, die Richard Middleton sehr facettenreich auszureizen weiß - vom wirklich Tragischen in "Eine Tragödie im Kleinen", dem eher tragischen, aber auch tragikomischen in "Die Seele eines Polizisten" bis hin zum schauerlichen in "Auf der Landstraße nach Brighton" oder "Der Sarghändler" und den fantastisch-exzentrischen Motiven wie im "Geisterschiff". Darüber hinaus bestechen diese Geschichten nicht zuletzt durch ihre sehr modern anmutende Schnörkellosigkeit und damit verbundene Klarheit. Middletons genaue Beschreibungen u.a. von einsamen Kindern, Landstreichern oder überforderten Polizisten erzählen von beinharten Schicksalen und irrealen Hoffnungen, die aber auch stets von einem mehr oder weniger trockenen Witz flankiert werden, der gar nicht mal zynisch oder sarkastisch daherkommt, sondern eher ganz lapidar ein "So ist es nun einmal" verlacht.
Einzig die Geschichte "Devonas Katze - Eine Geschichte aus der neuen Kindheit" ganz am Schluss hebt sich auf keineswegs minder reizvolle Weise von den 12 Melancholie getragenen ab, denn sie ist von einem höchst gegenwärtigen Scharfblick, in dem sie die Kinder zu Erziehungsverpflichteten gegenüber ihren Eltern macht - und je jünger die Kinders sind, als umso weiser werden sie anerkannt. So Helikoptereltern noch Zeit zum Lesen finden, sei gerade diese Geschichte ihnen herzlich anempfohlen!
Kein Wort zu viel, zeichnen sich alle Geschichten durch eine sehr passgenaue Stilsicherheit und Eleganz aus, die jede für sich zu einem Leseerlebnis macht.