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"Geist ist einfach die Tätigkeit des Gehirns"
Das Denkmodell des Mathematikers und Pioniers der Computerwissenschaft
Marvin Minsky basiert auf seiner Metapher der "Gemeinschaft des Geistes"
und beinhaltet nach Howard Garden per se keine Theorie, "die Gegenstand
klar formulierter wissenschaftlicher Untersuchungen sein kann, sondern
man sollte sie sich eher als Organisationsrahmen vorstellen, die Programme
nach sich ziehen könnte, die effektiver funktionieren und menschliche
Verhaltensweisen getreuer nachbilden. (..)
Welche Auswirkungen Minskys neue Ideen schlußendlich auf die
Künstliche Intelligenz haben werden, ist noch ungewiß."
(aus DEM DENKEN AUF DER SPUR S.182) Soweit Howard Garden, der die Artifizielle
bzw. Künstliche Intelligenz als eine der sechs großen Teilbereiche,
der sich neu entwickelnden Mammutfakultät KOGNITIONSWISSENSCHAFT beschrieben
hat.
"Die meisten Leute glauben immer noch, daß keine Maschine
je ein Gewissen, Ehrgeiz, Neid, Humor entwickelen oder andere geistige
Lebenserfahrungen machen kann. Natürlich sind wir noch weit davon
entfernt, Maschinen mit menschlichen Fähigkeiten bauen zu können.
Aber das bedeutet nur, daß wir bessere Theorien über die Denkfähigkeit
brauchen. Dieses Buch wird aufzeigen, daß die winzigen Maschinen,
die wir "Agenten des Geistes nennen', die langgesuchten 'Partikeln' sein
könnten, die zu diesen Theorien erforderlich sind."
Nach Minsky ist das menschliche Denken, der menschliche Geist kein
kleines Wesen in uns, das uns hier und dort Bescheid gibt, sondern einem
komplexen Computerprogramm vergleichbar. Die belegten Bits sind Agenten,
die sich wiederum zu Agenturen verbinden, die sich wiederum zu Überagenturen
zusammenschließen undsoweiterundsofort. Demnach gibt es: "Die
Akkumulation einer Myriade von Subagenturen", die viele verschiedene
Methoden erlernen, um jede Art von Zielen zu erreichen. "Die vielen
Reiche des gewöhnlichen Überlegens", die einen andere Standpunkte
einnehmen lassen, wenn ein Gesichtspunkt bei der Lösung eines Problemes
versagt hat. "Die Einrichtung vieler 'instinktiver' Protogeister",
mit denen wir verschiedene Arten von Organisationen verkörpern, um
viele Arten von Zielen zu erreichen, bis hin zu den "Hierarchien der
Verwaltung, die gemäß Paperts Prinzip gewachsen sind.(Einige
der entscheidensten Schritte in der mentalen Entwicklung basieren nicht
bloß auf der Erlangung neuer Fähigkeiten, sondern auch darin,
neue Methoden der Verwaltung dessen zu erlangen, was man bereits weiß.)
Zudem benutzt der Geist die 'Evolutionsrudimente unserer tierischen Vorfahren',
d.h. die Maschinerien, die von Fischen, Amphibien, Reptilien und frühen
Säugern entwickelt wurden."
Wie Minsky diese These mit seinen 30 Kapiteln à durchschnittlich
10 Unterkapitel und den sie einleitenden Zitaten von Buddha bis Proust
stützt, hat etwas sehr Suggestives. Seine mit Witz und Schaubildern
illustrierte Sichtweise scheint wirklich auf allen Ebenen zu funktionieren.
Am besten, wenn er das kindliche Lernen analog zu Piagets Stufenmodell
kindlicher Entwicklung vorstellt. Wo die Erwachsenen nur noch "Programmanwender"
sind, "scheint die Leistung der Kinder um so bemerkenswerter, da so
viele ihrer Tätigkeiten auf ihren eigenen Erfindungen und Entdeckungen
begründet ist." Und er folgert daraus sehr richtig: "Vielleicht
sollte sich unsere pädagogische Forschung weniger mit den Methoden
des Lehrens bestimmter Fähigkeiten befassen und sich mehr darum kümmern,
wie wir lernen, zu lernen."
"Ausnahmen sind eine Tatsache des Lebens, weil nur wenige 'Tatsachen'
immer wahr sind. Die Logik versagt, weil sie versucht, Ausnahmen zu dieser
Regel zu finden." Wie für Kalenderblätter gemacht, reiht
sich ein unwiderstehlicher Aphorismus an den anderen, und wo Minsky nicht
weiter "weiß", gibt er die Fragen an die Leser weiter. Z.B.
auch die Frage nach dem Motiv seiner Forschung. In 30.5 WISSEN VON UNS
SELBST heißt es: "Und worin bestand mein Motiv, das zu wollen?"
Letztlich ziehen wir einfach einen Schlußstrich und sagen: "Weil
ich es einfach wollte (..), und das kann uns helfen, einfach zu unterbrechen,was
ansonsten eine endlose Kette von Überlegungen würde." Dies
bringt ihn dann zu folgender Aussage über die WILLENSFREIHEIT in 30.6:
"Alles, was in unserem Universum geschieht, wird entweder lückenlos
durch die Ereignisse der Vergangenheit bestimmt, oder es hängt teilweise
vom Zufall ab. (..) Beiderseits ist kein Raum für eine dritte Alternative."Minsky unternimmt, obwohl er ganz offensichtlich über eine gehörige
Portion Humor und Kinderliebe verfügt, "unschuldige" Untersuchungen
über "unschuldige", da fremdbestimmte, Zufallstechniken, d.h.
er steigt dann doch lieber von den ausnahmsreichen Erklärungsversuchen
der Psychoanalyse auf die unentdeckten Funktionsweisen des Geistes um,
die ihn immer wieder die "Perfektion" eines Menschen vermissen läßt.
"Ein Mensch sollte sich in der Tat beleidigt fühlen, wenn man ihn
mit einer trivialen Maschine vergleicht. (..) Aber wir müssen erkennen,
daß wir uns immer noch in einer frühen Ära der Maschinen
befinden und buchstäblich nicht die geringste Ahnung haben, wohin
sie sich entwickeln werden."
Nach Minskys Logik ist es also ein lohnenswertes Ziel, solche perfekten
Maschinen zu bauen. Was aber, wenn sie sensibler als die Menschen sind
und das barbarische Ungenügen der Menschen nicht mehr ertragen?
Die Einwände des Rezensenten lassen sich bestimmt bestreiten,
und nicht nur deshalb sei dieses Buch jedem intellektuellen Überflieger
wärmstens empfohlen, besagt doch ein weiteres Zitat: "Jeder Leser
liest nur, was bereits in ihm ist. Ein Buch ist nur eine Art optisches
Instrument, das der Autor anbietet und das dem Leser ermöglicht, in
sich zu entdecken, was er ohne die Hilfe des Buches nicht entdeckt hätte."